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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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bestand darin, die Berichte der regionalen PÜD-Abteilungen zu lesen und zu entscheiden, ob etwas darunter war, das weiterverfolgt werden musste. Und Meiriks Order war ganz klar: Wenn es sich nicht um wirkliche Bagatellen handelte, musste alles weitergeleitet werden. Harry hatte also gewissermaßen die Funktion eines Müllfilters. In dieser Woche waren drei Berichte auf seinem Schreibtisch gelandet. Er hatte versucht, sie langsam zu lesen, doch es gab Grenzen, wie sehr man das in die Länge ziehen konnte. Einer der Berichte stammte aus Trondheim und betraf das neue Abhörmaterial, das niemand zu bedienen verstand, nachdem der dortige Abhörexperte in den Ruhestand gegangen war. Harry hatte ihn weitergeleitet. Der zweite Bericht handelte von einem deutschen Geschäftsmann in Bergen, der jetzt nicht mehr verdächtigt wurde, weil er tatsächlich die Ladung Gardinenstangen geliefert hatte, wegen der er ins Land gekommen war. Der dritte stammte aus der Region Østland , vom Polizeidistrikt Skien. Es waren Beschwerden von Hüttenbesitzern in Siljan eingegangen, die am letzten Wochenende Schüsse gehört hatten. Da zurzeit keine Jagdsaison war, war ein Beamter dorthin gefahren, um die Sache zu untersuchen, und hatte im Wald leere Geschosshülsen einer unbekannten Marke gefunden. Sie hatten die Hülsen an die Ballistik-Abteilung der Kriminalpolizei geschickt. Die hatte ihnen mitgeteilt, es handele sich vermutlich um die Munition eines Märklin-Gewehres, einer sehr seltenen Waffe.
    Harry hatte den Bericht weitergeleitet, sich aber zuerst selbst eine Kopie gemacht.
    »Ja, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte, ist ein Flugblatt, das uns vor kurzem in die Hände geraten ist. Die Neonazis wollen am Nationalfeiertag, am 17. Mai, in den Moscheen hier in Oslo Unruhe stiften. Irgendein beweglicher muslimischer Feiertag fällt in diesem Jahr auf den 17. Mai, und eine ganze Anzahl ausländischer Eltern verbietet es ihren Kindern, im Kinderumzug mitzugehen, weil sie in die Moschee müssen.«
    »Maulud.«
    »Was?«
    »Maulud. Der Feiertag. Das ist das muslimische Weihnachten.« »Sie kennen sich damit aus?«
    »Nein, aber im letzten Jahr bin ich von meinen Nachbarn zum Essen eingeladen worden. Das sind Pakistani. Sie fanden es so traurig, dass ich an Maulud alleine zu Hause saß.«
    »Ach ja? Hm.« Meirik setzte seine Horst-Tappert-Brille auf. »Ich habe das Flugblatt hier. Sie schreiben, es sei ein Hohn für das Gastland, am 17. Mai etwas anderes als den Nationalfeiertag zu feiern. Und dass die Farbigen Sozialhilfe beanspruchten, ohne auch nur eine norwegische Bürgerpflicht zu erfüllen.«
    »Zum Beispiel beim Umzug brav ›hurra‹ zu rufen«, sagte Harry und holte sein Zigarettenpäckchen hervor. Er hatte den Aschenbecher oben auf dem Bücherregal erblickt und Meirik nickte bei Harrys fragendem Blick. Harry zündete eine Zigarette an, inhalierte den Rauch und versuchte, sich vorzustellen, wie die gierigen Blutgefäße an seinen Lungenwänden das Nikotin in sich aufsaugten. Das Leben verkürzte sich somit, und der Gedanke daran, wohl niemals mit dem Rauchen aufzuhören, erfüllte ihn mit einer seltsamen Zufriedenheit. Sich nicht um die Warnung auf der Zigarettenpackung zu kümmern war vielleicht nicht die ausgefallenste Art, sich zu widersetzen, aber es war eine, die Harry sich leisten konnte.
    »Schauen Sie mal, was Sie herausfinden können«, sagte Meirik. »Okay. Aber ich muss Sie warnen. Ich kann mich nur schwer zurückhalten, wenn es um diese Kahlköpfe geht.«
    »Haha.« Meirik zeigte wieder seine großen gelben Zähne, und Harry erkannte, an was er ihn erinnerte: an ein gut dressiertes Pferd.
    »Haha.«
    »Es gibt noch eine andere Sache«, sagte Harry. »Die betrifft den Bericht über die Munition, die in Siljan gefunden worden ist. Die aus der Märklin-Waffe.«
    »Ja, ich glaube, ich habe davon gehört.«
    »Ich habe ein paar eigene Nachforschungen angestellt.«
    »Ja?«
    Harry bemerkte den kühlen Ton.
    »Ich habe das Waffenregister des letzten Jahres überprüft. Es gibt keine registrierte Märklin-Waffe in Norwegen.«
    »Das überrascht mich nicht. Die Liste ist sicher auch schon von anderen hier im PÜD gecheckt worden, nachdem sie den Bericht weitergeleitet haben, Hole. Das ist doch nicht Ihr Job, das wissen Sie.«
    »Vielleicht nicht. Aber ich wollte sichergehen, dass der Betreffende die Sache an Interpol weitergeleitet hat.«
    »Interpol? Warum denn das?«
    »Diese Waffen werden von niemandem nach Norwegen importiert.

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