Rotkehlchen
der Stimmen, noch ehe er die geöffnete Tür erreichte. Er sah auf die Uhr. Fünfundsiebzig Sekunden. Dann war er drinnen, ließ rasch seinen Blick durch den Sitzungssaal schweifen und konstatierte, dass alle einberufenen Instanzen anwesend waren.
»Sie sind also Bjarne M ø ller«, rief er und lächelte breit, als er einem hochgewachsenen, dünnen Mann, der neben der Polizeipräsidentin Anne Størksen saß, die Hand entgegenstreckte.
»Sie sind PAC, nicht wahr, Møller? Ich habe gehört, dass Sie bei der Hohnenkollstafette sowohl eine Berg-als auch eine Taletappe gelaufen sind.«
Das war eine von Brandhaugs Methoden. Er verschaffte sich ein paar Informationen, die nicht im Lebenslauf standen, wenn er bestimmte Menschen zum ersten Mal traf. Das machte sie unsicher. Es freute ihn besonders, dass es ihm gelungen war, die Bezeichnung PAC zu benutzen – die interne Abkürzung für Polizeiabteilungschef. Brandhaug setzte sich, zwinkerte seinem alten Freund Kurt Meirik, dem Leiter des polizeilichen Überwachungsdienstes, PÜD, zu und betrachtete dann die anderen, die am Tisch saßen.
Noch wusste niemand, wer den Vorsitz übernehmen sollte, denn es war eine Sitzung, bei der gleichrangige Beamte versammelt waren, die das Polizeipräsidium, den Nachrichtendienst, die Bereitschaftstruppen und das Auswärtige Amt repräsentierten. Das Büro des Ministerpräsidenten hatte die Sitzung einberufen, doch es stand außer Frage, dass die operationelle Verantwortung beim Osloer Polizeidistrikt mit Polizeipräsidentin Anne Størksen und beim Überwachungsdienst, vertreten durch Kurt Meirik, lag. Der Sekretär des Ministerpräsidenten schien die Leitung der Sitzung übernehmen zu wollen.
Brandhaug schloss die Augen und lauschte.
Das Summen der Stimmen ebbte langsam ab, ein Stuhlbein kratzte über den Boden. Papier raschelte, Stifte klickten – bei derart wichtigen Sitzungen kamen die meisten Abteilungschefs in Begleitung eigener Referenten, um eine Unterstützung zu haben, falls der Sitzungsverlauf eine unerwünschte Wendung nahm und man sich mit gegenseitigen Schuldzuweisungen belastete. Jemand räusperte sich, doch das kam von der falschen Seite des Raumes und war darüber hinaus kein Räuspern, mit dem man einen Eröffnungssatz einleitete. Jemand holte Luft, um zu sprechen.
»Lassen Sie uns beginnen«, sagte Brandhaug und öffnete die Augen.
Alle Köpfe wandten sich ihm zu. Es war jedes Mal das Gleiche. Der halb geöffnete Mund des überrumpelten Sekretärs, das schiefe Lächeln von Frau St ø rksen, die begriffen hatte, was vor sich gegangen war, und die ausdruckslosen Gesichter all der anderen, die keine Ahnung davon hatten, dass der Kampf bereits entschieden war.
»Ich heiße Sie herzlich zur ersten Koordinationssitzung willkommen. Unsere Aufgabe ist es, vier der wichtigsten Männer der Welt nach Norwegen und wieder zurückzubringen, und das in mehr oder minder lebendigem Zustand.«
Höfliches Grinsen allerseits.
»Am Montag, dem 1. November, werden PLO-Chef Jassir Arafat, der israelische Ministerpräsident Ehud Barak und der russische Präsident Wladimir Putin kommen und last but not least wird in genau fünfundzwanzig Tagen um exakt 6 Uhr 15 die Airforce One mit dem amerikanischen Präsidenten an Bord auf dem Osloer Flughafen Gardermoen landen.«
Brandhaug ließ seinen Blick über die Gesichter der Anwesenden schweifen. Seine Augen blieben auf dem Neuen haften, Bjarne Møller.
»Sofern es dann nicht zu nebelig ist«, sagte er, erntete Gelächter und bemerkte zu seiner Genugtuung, dass Møller einen Augenblick lang seine Nervosität vergaß und mitlachte. Brandhaug lächelte zurück und zeigte seine kräftigen Zähne, die nach der letzten kosmetischen Behandlung beim Zahnarzt noch ein wenig weißer leuchteten.
»Wir wissen noch nicht genau, wie viele eintreffen werden«, fuhr Brandhaug fort. »In Australien wurde der Präsident von zweitausend Menschen begleitet, in Kopenhagen waren es siebzehnhundert.«
Gemurmel an den Tischen.
»Nach meiner Erfahrung sollten wir aber realistischerweise von etwa siebenhundert ausgehen.«
Brandhaug sagte das im sicheren Wissen, dass seine »Vermutung« bald bestätigt werden würde, da er erst vor einer Stunde ein Fax mit der Liste der siebenhundertzwölf Teilnehmer bekommen hatte.
»Manch einer von Ihnen fragt sich sicher, wozu der Präsident so viele Menschen auf einem zweitägigen Gipfeltreffen benötigt. Die Antwort ist einfach Wir haben es hier mit der guten alten Rhetorik
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