Rott sieht Rot
Ärgerliche. »Verdammt noch mal. Du hast ihm nicht geholfen?«
»Ich wusste doch nicht, worum es ging!«
»Wer weiß, was für ein Problem er hatte. Du hast ihn einfach hängen lassen!« Die Lautstärke ihrer Stimme steigerte sich. Sie stand auf und ging im Raum auf und ab. »Lass uns deinen Anrufbeantworter abhören. Das könnte ein Hinweis sein!«
»Ich habe die Nachricht gelöscht«, wiederholte ich.
Svetlana seufzte. »Wir müssen ihm helfen.« Ihre Stimme schien zu versagen. »Aber wie?«
»Ich werde diese Adresse in Leverkusen überprüfen. Mehr Möglichkeiten gibt es im Moment nicht.«
»Doch!«, fuhr sie auf. »Die Krankenhäuser. Ich hänge mich ans Telefon. Wo ist das Telefonbuch …«
»Das führt doch zu nichts. Wo willst du anfangen und wo aufhören? Was ist, wenn er in Köln unterwegs war? Oder in Münster? Oder in Bonn? Oder in Frankfurt? Oder in Bangkok? Willst du überall anrufen?«
»Stimmt«, sagte sie, ohne mich anzusehen und dachte nach, wobei ihre Unruhe sichtlich weiter wuchs. »Die Nummern stehen ja gar nicht alle im Remscheider Telefonbuch. Ich muss im Internet recherchieren.« Sie ging an das Laptop auf dem kleinen Schreibtisch, hob die Klappe und schaltete es ein.
»Ich übernehme die Telefonkosten«, sagte ich, während Svetlana eifrig zu tippen begann.
»Was hast du gesagt? Ach so - Quatsch.« Sie wandte sich wieder dem Computer zu.
»Ich gehe jetzt. Lass uns heute Abend noch mal telefonieren.«
Sie stierte auf den Bildschirm und schien mich vergessen zu haben. Ich fand den Ausgang allein. Ich stellte fest: Tristans Ehefrau hatte wesentlich weniger Elan aufgebracht, um ihren Mann zu finden. Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da spürte ich den feinen Schmerz der Eifersucht in der Brustgegend.
10. Kapitel
Um die Adresse in Leverkusen zu finden, musste ich einen von Mannis Stadtplänen konsultieren, die auf der Rückbank des Golfs herumflogen. Die Gustav-Heinemann-Straße lag in Manfort, einem Ortsteil, der zwischen der Al und der A3 eingeklemmt war - genau neben der Stelle, wo sich die beiden Verkehrsschlagadern kreuzten.
Als ich die Gegend in Natura bestaunen durfte, überraschte mich der Anblick nicht: Ich war in einer Vorstadt, in der die Wohnsilos dem rollenden Verkehr so tapfer Widerstand leisteten wie ein Leuchtturm dem Ansturm des Ozeans.
Das Haus, in dem Hanna Schneider wohnte, war Teil eines langen Betonkomplexes. Der Weg führte durch eine Nebenstraße auf einen asphaltierten Platz mit weiß eingezeichneten Parktaschen. Auf manche der Felder hatte jemand ungelenk mit weißer Farbe »Privat« gepinselt. Ein roter Passat Kombi war nicht zu sehen.
Ich sah zu den Gebäuden hoch. Ein Heer von Fenstern blickte auf die öde Stadt. Wie zum Hohn hatte man die gigantischen Wohnkästen in verschiedenen blassen Farben gestrichen: Blau, Orange und eine Art Rosa. Knallig rot wie die Feuerwehr waren die Hausnummern. Sie schrien dem Betrachter geradezu entgegen.
In der unteren Etage spielte sich das soziale Leben ab. Für die Erwachsenen gab es eine Trinkhalle, für die Kinder eine Tagesstätte. Ich sah ein paar Mütter mit Nachwuchs an der einen Hand und Plastiktüten in der anderen über den Parkplatz wandern.
Ich wandte mich der Nummer 40 zu und erkannte schon im Näherkommen neben dem Eingang gewaltige Reihen von Klingeln. »Schneider« gab es nicht. Dafür »Koroliow-Schneider«. Ich drückte ein paarmal den Knopf und wartete. Ohne Erfolg. Die Glastür zum Treppenhaus war offen. Ab und zu gingen Leute rein und raus; niemand beachtete mich.
Ich zählte die Klingeln ab, betrat das Gebäude und brachte einen beängstigend engen Aufzug dazu, mich in die fünfte Etage zu transportieren. Dort fand ich die richtige Wohnung. Ich lauschte an der Tür. Dahinter lief anscheinend ein Fernseher. Ich klingelte.
Innen wurde leiser gestellt. Ich nutzte die Senkung des Geräuschpegels und klingelte erneut. Der Lärm aus den anderen Behausungen trat in den Vordergrund. Irgendwo schrie ein Kind, und aus undefinierbaren Fernen hörte ich orientalische Musik.
»Frau Schneider?«, rief ich und klopfte wieder. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Ein schlecht rasierter Mann starrte mich an.
»Was ist?«, fragte er, und ich bemerkte einen fremdländischen Akzent. Ich tippte auf osteuropäisch.
»Was?«, fragte er ungeduldig. Er zog dabei das »a« in die Länge und breitete die Arme aus. Ich roch eine scharfe Alkoholfahne.
»Ich suche Frau Hanna Schneider«, sagte ich und
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