Rott sieht Rot
Freitag, dem 26. Oktober. Also morgen.
Ich setzte mich ins Auto und rief die Baronin an.
»Bei von Rosen-Winkler.« Es war Jutta, die sich meldete.
»Wie läuft es?«, fragte sie aufgeregt. »Wir sind völlig mit den Nerven runter. Vor allem Agnes.«
»Gib mir mal deine Freundin.«
Die Baronin war zuerst ziemlich wortkarg. Als die Rede auf die geheimnisvollen Rubine kam, wirkte sie erschreckt.
»Ich habe keine Ahnung davon«, sagte sie. »Vielleicht hat er sie geerbt?«
»Ich wundere mich, dass er sie nicht verkauft hat«, sagte ich.
»Warum das denn?«
»Nach meinen Erkenntnissen sieht es bei ihm finanziell nicht sehr gut aus.«
»Nicht?« Ich konnte förmlich hören, wie sie die Nachricht schluckte, dass ihr Mann keine gute Partie war. Man sollte eben doch nicht überstürzt in die Ehe gehen.
»Woher wissen Sie das?«, fragte sie. »Haben Sie etwa in seinen Sachen gewühlt?«
»Es blieb mir nichts anderes übrig.«
»Wie sind Sie überhaupt in seine Wohnung gekommen?«
»Ich habe da so meine Methoden. Geben Sie mir bitte Jutta.«
Die Baronin fragte zum Glück nicht weiter, übergab den Hörer, und ich entlockte Jutta den Namen, die Adresse und die Telefonnummer ihres Wuppertaler Juweliers.
»Aber er hat nur bis halb acht geöffnet«, wandte sie ein. Ich sah auf die Uhr. Es war zwanzig nach sieben.
»Dann tu mir den Gefallen und ruf ihn an. Sag ihm, dass ich dringend eine Auskunft brauche.«
»Wie stellst du dir das vor? Ich kann den Mann doch nicht zwingen, in seinem Laden zu bleiben!«
»Sag ihm, dass er sonst eine sehr treue Kundin verliert.«
*
Um Viertel nach acht klopfte ich an die Scheibe von Juwelier Meyer in der Turmhofstraße. Irgendwo hinter den Vitrinen bewegte sich etwas, und ein Riese von einem Mann kam zum Eingang. Er war mindestens zwei Meter groß, sehr schlank, glatt rasiert und wirkte jung und staksig, als sei er gerade von der Schule gekommen. Sein grauer Anzug saß perfekt.
Er schloss auf und öffnete die Tür ein Stück.
»Herr Meyer?«, fragte ich.
»Exakt. Herr Rott, nehme ich an. Kommen Sie bitte herein.«
Wir gingen durch den leeren Verkaufsraum. Der Juwelier zog eine Rasierwasserfahne durch die Luft. Er stellte sich hinter eines der kleinen Tischchen, an denen die Kunden sonst ihren Schmuck auswählten.
»Womit kann ich Ihnen dienen? Frau Ahrens sagte, es ginge um etwas Besonderes. Es wirkte etwas geheimnisvoll. Ach …« Er wies auf eines der kleinen samtbezogenen Sesselchen. »Nehmen Sie doch Platz.«
Ich nahm das Angebot an. Meyer wartete höflich, bis mein Hosenboden das Polster berührt hatte, und setzte sich dann ebenfalls.
»Es geht um eine Auskunft.« Ich holte hervor, was ich in dem braunen Umschlag gefunden hatte. »Können Sie mir sagen, was das ist?«
Meyer drehte das Kästchen mehrmals herum und hielt es ins Licht.
»Es sind Rubine, oder?«, fragte ich.
»Exakt«, sagte er. Er öffnete geschickt den Klebefilm und zog den Deckel ab. Dann griff er in eine Schublade, holte eine Pinzette heraus und hob damit einen der kleinen Steine auf.
»Ich dachte immer, Edelsteine hätten eine Kristallform«, sagte ich. »Dass sie so klein und rund sind, ist mir neu.«
Meyer grinste. »Da haben Sie aber wenig Erfahrung«, sagte er und traf damit den Nagel auf den Kopf. »Diese Steine hier haben eine so genannte Cabochon-Form. Das ist eine Art von Schliff, die gerade bei Rubinen sehr oft vorkommt.«
Er blickte den Stein aufmerksam an. Schließlich legte er die kleine rote Kaffeebohne wieder zu den anderen. »Was wollen Sie genau wissen?«
»Schauen Sie sich doch bitte mal das Blatt hier an. Es gehört wohl dazu.« Ich schob ihm das Zertifikat hin.
Er warf einen kurzen Blick darauf. »Ja, das sehe ich auch so.«
»Da steht, die Steine hätten einen Wert von vierhunderttausend Mark. Stimmt das?«
»Warum wollen Sie das wissen? Haben Sie sie geerbt?«
»Nein. Ich bin Privatermittler, und diese Steine sind gewissermaßen eine Spur in einem meiner Fälle.«
Er hob die rechte Augenbraue. »Eine Spur? Sie meinen, die Steine sind Diebesgut?«
Ich schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht«, sagte ich, obwohl ich natürlich überhaupt nichts wusste. »Ich möchte nur über den Wert im Klaren sein. Es geht um eine Finanzangelegenheit.«
»Ich verstehe«, sagte er, und ich fragte mich, was er genau damit meinte.
»Wissen Sie, ich will im Grunde nur wissen, ob das Gutachten und die Steine zusammengehören.«
Er nickte und nahm sich das Blatt vor. Während er die
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