Rott sieht Rot
Störung. Mein Name ist Rott. Wäre es möglich, bei Ihnen Herrn Tristan Sülzbach zu erreichen?«
»Oh nein, das tut mir Leid. Mein Sohn wohnt nicht hier. Ich kann Ihnen aber seine Telefonnummer geben.«
»Das wäre sehr nett. Wissen Sie, ich bin ein alter Kollege von ihm und habe die Nummer leider verlegt.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Das tue ich doch gern.« Sie diktierte mir die Festnetznummer, von der aus ich gerade telefonierte. Ich verabschiedete mich höflich und legte auf.
Ich stellte die Ordner zurück und blickte mich noch einmal gewissenhaft im Raum um. Als ich schon gehen wollte, bemerkte ich etwas Bräunliches auf dem obersten Brett des Aktenregals. Es war nur zu sehen, wenn man am Fenster stand, und auch dann ragte es nur ein kleines Stückchen nach oben. Ich rückte den Schreibtisch nach hinten, kletterte darauf und tastete auf dem Regal herum. Ich bekam etwas aus Papier zu fassen - ein großes, dickes Kuvert.
Es war zugeklebt. Innen fühlte ich etwas Hartes, Kleines. Ohne zu zögern riss ich das Papier auf und holte ein Plastikkästchen hervor. Es sah aus wie die transparenten Schachteln, in denen man Kartenspiele aufbewahrt; mit dem Unterschied, dass sich in diesem lauter kleine rote Steinchen drängelten. So viele, dass der Behälter vollkommen ausgefüllt war. Ich schob noch einmal die Hand in das Kuvert und förderte ein Blatt Papier zutage.
Ein gewaltiger Briefkopf, darunter Text, das Ganze unterschrieben von einem Dr. Soundso aus Berlin. Die Information, die ich dem Schrieb entnahm, entlockte mir ein bewunderndes Pfeifen: Laut Gutachter handelte es sich bei den Steinchen um Rubine. Und sie waren vierhunderttausend wert. D-Mark. Das Dokument war vor der Euro-Ära ausgestellt worden. Ich sah auf das Datum: vor zwölf Jahren.
Ich ließ das Kästchen und das zusammengefaltete Gutachten in meiner Sakkotasche verschwinden. Ich wollte mich schon auf den Weg zum Keller machen, da fiel mir noch etwas ein. Ich probierte die Eingangstür. Sie war nur zugezogen.
Ich hätte sie wahrscheinlich von außen mit einer Scheckkarte öffnen können.
*
Auf dem Weg zum Auto rief ich mir die Adresse in Leverkusen ins Gedächtnis, die ich für Sülzbach recherchiert hatte. Ganz sicher stand sie auf irgendeinem Zettel zu Hause, doch in dem Chaos würde ich sie so schnell nicht wieder finden. Und ich hatte keine Zeit, dort zu suchen. Ich strengte also meinen Grips an. Mit Erfolg.
Nach Krügers Informationen hatte eine Frau das Auto angemeldet, eine gewisse Hanna Schneider. Die Adresse war Gustav-Heinemann-Straße 40. Zuerst war ich mir bei der Hausnummer nicht ganz sicher, doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich sie automatisch mit meinem nächsten Geburtstag assoziiert hatte. Der Gedanke an Krüger brachte mich auf eine Idee. Ich wählte seine Dienstnummer.
»Rott - Sie schon wieder. Wollen Sie mir einen weiteren illegalen Antrag machen?«
»Nicht direkt. Ich muss mich nur in einer bestimmten Sache absichern. Sagt Ihnen der Name Tristan Sülzbach etwas?«
Krüger machte eine Pause, in der er wahrscheinlich nachdachte. »Der Mensch, der diese Baronin heiratet?«, fragte er schließlich.
»Richtig, das stand in der Zeitung.«
»Der Mann, der Popstars macht, was? Der Mann, der was über Autonummern erfahren will.«
»Dazu sage ich jetzt mal nichts.«
»Ihre Sache. Was ist mit ihm?«
»Es gibt ein kleines Problem.«
»Will er seine Braut nicht mehr?«
»Fast ins Schwarze. Wahrscheinlich ist er durchgebrannt - kurz vor der kirchlichen Starhochzeit.«
»Interessante Information. Steht die vielleicht morgen in der Zeitung?«
»Wenn Sie dicht halten, nicht. Können Sie mir noch einen Gefallen tun?«
Krüger seufzte. »Erst will ich wissen, worum es geht.«
»Benachrichtigen Sie mich, falls er in Ihren Akten auftaucht?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine als Verletzter im Krankenhaus. Oder als Leiche.«
»Ist das denn zu befürchten?«
»Ich weiß es nicht.«
»Verstehe. Will die Braut keine Vermisstenanzeige aufgeben?«
»Will sie nicht. Und ich möchte ausschließen, dass er irgendwo einen Unfall hatte, während ich ihn suche.«
»Ob er in irgendeinem Krankenhaus liegt, können wir nicht wissen. Schon gar nicht, wenn er nicht gefunden werden will.«
»Ist mir klar. Es wäre nur nett, wenn Sie mal nachsehen würden, ob er unter Ihren Kunden im Kühlregal ist.«
»Seit wann kann das der Fall sein?«
»Seit letzten Sonntag ungefähr.«
»Unwahrscheinlich - jedenfalls im
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