Rott sieht Rot
dass dieses Gesicht nichts als eine Maske war.
Aber was war dahinter?
*
Als ich bei Svetlana ankam, stand sie bereits vor der Haustür. Sie umrundete den Kühler und klopfte an das Beifahrerfenster. Nachdem ich ihr geöffnet hatte, stieg sie ein und zog die Tür zu.
»Fahr los«, sagte sie.
»Was ist denn jetzt los? Ich denke, du gibst mir ein Foto!«
Sie sah mich an und schenkte mir ein Lächeln, das etwas in mir zum Schmelzen brachte.
»Ich habe dich angelogen. Es gibt kein Foto. Ich wollte nur, dass du mich ins Auto lässt. Ich will mit zur ›Kaisermühle‹, schon vergessen?«
Ich knallte die rechte Hand auf das Armaturenbrett. »Verdammt«, rief ich. »Auf so einen Mist falle ich rein.«
»Sei mir nicht böse«, sagte sie. »Ich muss einfach mit. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn Tristan etwas passiert ist.«
Ich sah sie an. In mir schmolz es weiter. Gleichzeitig nahm ich ihren Duft wahr, er vermischte sich mit ihrem Lächeln, und dann war alles zu spät. Plötzlich waren wir unterwegs.
»Weißt du eigentlich, wo diese ›Kaisermühle‹ ist?«, fragte Svetlana.
Ich reichte ihr den Prospekt, den ich aus der Russenwohnung mitgenommen hatte.
»Hunderttausend Euro Gewinn. Wer’s glaubt, wird selig.«
»Vielleicht kriegen wir ja unsere Chance, wenn wir mit dem Zettel auftauchen«, versuchte ich einen Witz. »Ich hätte mal gleich zehn von den Prospekten mitbringen sollen, dann käme ich als Millionär nach Hause.«
Svetlana studierte weiter den Text. »An der Wupperquelle«, las sie. »Keine weitere Adresse. Da sehen wir doch gleich mal auf die Karte.«
Sie beugte sich zurück und holte vom Rücksitz den Straßenatlas. Ihr dünner Pullover unter der offenen Wildlederjacke straffte sich. Die Wolle dehnte sich und gab den Blick auf nackte Haut unter den Maschen frei. Ich zwang mich, auf die Straße zu sehen.
»Wusstest du eigentlich, dass die Wupper in ihrem oberen Verlauf Wipper heißt?«, fragte sie und fing an zu blättern.
»Das weiß im Bergischen Land jedes Kind«, brummte ich. »Heimatkunde erste Klasse.«
Ich hatte auf der Stockder Straße gedreht, um wieder zurückzukommen. Eine Ampel sprang auf Rot, und ich hielt.
»Wo soll ich hinfahren?«
»Dafür reichen deine Heimatkundekenntnisse wohl nicht«, stellte Svetlana fest. »Eine genaue Adresse haben wir nicht. Aber wenn wir zu der Quelle wollen, dann müssen wir in Richtung Marienheide. Das heißt, erst mal in östlicher Richtung über die Al, und dann geht es auf Bundesstraßen weiter. Ich dirigiere dich.«
Ich fädelte mich wieder in die Ausfallstraße ein, die nach Lennep führte. Nach einer Weile meldete Svetlana, dass wir abbiegen mussten, und so ließen wir Remscheid hinter uns.
Die Straße führte zwischen Wiesen, Weiden und Äckern hindurch. Ein Schild an einem Bauernhof pries Kartoffeln und frische Eier an. Die Strecke wurde kurvenreicher; immer wieder waren die Leitplanken rot-weiß markiert.
»Der Plan ist also, über diese Hanna Schneider mehr Informationen über Tristan herauszubekommen«, sagte Svetlana.
»Vielleicht führt sie uns ja auch direkt zu ihm.«
»Was macht dich eigentlich so sicher, dass dieser Werbezettel etwas mit ihr zu tun hat?«
»Immerhin stammt das Blatt aus ihrer Wohnung.«
»Aber da waren ja noch andere Leute.«
»Jetzt nur nicht spitzfindig werden. Ich muss alles versuchen. Die Zeit drängt.«
Ich musste an die Begegnung mit dem Porsche am Abend zuvor denken. Jetzt wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt gewesen, Svetlana davon zu erzählen. Vielleicht verstand sie dann, wie ernst die Geschichte war. Und ich wäre sie doch noch los geworden. Aber wollte ich das überhaupt? Ich spürte, wie mein Mund trocken wurde. Ich betrachtete sie verstohlen, während sie auf die Straße starrte.
Svetlana beugte den Kopf vor und studierte wieder die Karte. Ihre roten Haare fielen wie ein feiner Vorhang herab, und sie leuchteten in der herbstlichen Sonne auf. Ihr Gesicht war mürrisch; vielleicht dachte sie gerade über ihre Nebenbuhlerin nach. Plötzlich wandte sie den Kopf. »Was siehst du mich so an? Guck nach vorn!«
Ich zuckte zusammen.
»Ich bin froh, dass du mich mitnimmst«, fuhr sie fort. »Ich hätte es zu Hause nicht ausgehalten. Ich muss einfach etwas tun.«
»Es kann aber gefährlich werden«, begann ich zaghaft.
»Du bist ja bei mir.« Sie lächelte. »Weißt du was?«
»Hm?«, brummte ich.
»Bei dir fühle ich mich sicher. Was kann schon passieren?«
Ich spürte, wie sich meine
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