Rotzig & Rotzig
um. „Sagen Sie mal, Herr Siebling, in welcher Etage wohnen Sie eigentlich? Zeigen Sie mir doch mal die Fenster Ihrer Wohnung. Haben Sie einen Balkon?“ Ich sah hoch, gab's aber rasch wieder dran, weil mir der Schnee in die Augen rieselte. „Was? Meine Wohnung? Ich wohne in der ersten Etage, aber nicht hier, sondern in Haus Nr. 12, da hinten.“ Ich schenkte ihm einen absolut stumpfen Blick. Noch so eines meiner Talente. „Sie wohnen gar nicht hier? Was kröpfen Sie sich dann so auf?“
„Was ich mich aufkröpfe? Ich bin zufällig einer der Begründer der Stadtviertelinitiative gegen Kriminalität und Vandalismus, falls Sie das noch nicht wissen.“ Wusste ich, doch das behielt ich für mich. „Na“, sagte ich, „dann gehen Sie mal mit gutem Beispiel voran.“ Damit hob ich eine der aufgeplatzten Mülltüten auf und drückte sie ihm in die Hand, drehte mich um und ließ ihn stehen.
„Ich kann Ihnen eine Menge Ärger machen“, rief er mir noch hinterher.
Ich nickte nur. Einen Euro für jedes Mal, dass ich diesen Satz gehört habe ...
Vor Roland Siebling hatten sie mich schon gewarnt. Er stand ganz oben auf der Liste der Renitenten, die die Mietzahlungen verweigerten. Siebling wohnte in einem der dreigeschossigen Bauten direkt neben der A40, und zwar zusammen mit seiner Frau Yvonne Kerner, Friseuse, arbeitslos, Mutter zweier Kinder, Yves und Sean.
Yves und Sean. Nach einem kleinen Augenblick machte es Ting bei mir.
Ich probierte den grauen Kittel an, und mein Rückgrat gab nach. Mein Kopf sackte nach vorn wie der eines Verurteilten, und meine Schultern nahmen wie selbstverständlich eine hängende Haltung ein. Ein Gefühl von Unausweichlichkeit beschlich mich, ein Gefühl, als ob dieser Kittel und dieser Job schon immer auf mich gewartet hätten.
Nach einigem Herumirren durch die Kellergänge fand ich die Werkstatt des Hausmeisters und ließ mich ein. Stahlspind, Hobelbank, Schraubstock, das Übliche halt. Einziger Unterschied zu Tausenden von ähnlich eingerichteten Kellerräumen waren die Portweinflaschen. Auf sämtlichen waagerechten Flächen, überall. Wenn auch, gnädigerweise, alle leer.
„Wollen Sie etwa immer noch leugnen, dass das Ihre sind?“
Die Alte mit der Krähennase, mal wieder. „Sagen Sie mal, haben Sie eigentlich nichts Besseres zu tun, als den lieben langen Tag an den Altglascontainern herumzulungern?“
„Ich wohne nun einmal in dieser Gegend. Und als Mitglied der Stadtviertelinitiative gege. kriminalität und Vandalismus ist es mein gutes Recht, die Effizienz der Bediensteten der Wohnanlage zu überwachen. Und Sie sehe ich immer nur leere Schnapsflaschen wegbringen.“
Noch eine von der Liste der Renitenten. „Das sind Portweinflaschen.“
„Was auch immer. Davon abgesehen bin ich selber Betroffene. Mein Mann ist daran gestorben.“
„An Altglas?“
„An Alkoholismus. Ich sehe es als meine Aufgabe an, diese Volksseuche zu bekämpfen.“ Ich schenkte ihr einen müden Blick. Diese stechenden Augen. Dieser verkniffene Mund. Diese herrische Haltung. Diese Selbstgerechtigkeit. Wahrscheinlich hatte ihr Alter sich totgesoffen, weil ihm kein anderer Weg aus der Ehe mit ihr einfallen wollte. „Sie haben sich mir noch nicht vorgestellt.“
„Das wird auch nicht nötig werden. Aller Erfahrung nach halten sich Hausmeister nicht lange in dieser Gegend.“
Als ob sie von billigen Schnittblumen spräche. Als ob sich nicht der letzte aus dreißig Metern Höhe in den Tod gestürzt hätte.
Eigentlich hätte ich sie ganz gern zu den Einbrüchen befragt, doch dann ging mir auf, dass ich das genauso gut bei einem unserer nächsten Treffen nachholen konnte. Allein im Keller warteten noch gut und gern hundert Pullen auf ihre Entsorgung. Zurück im Untergeschoss nahm ich den Werkzeugkoffer auf und begab mich auf meine Runde. Wenn die WODEGA mich mit irgendetwas gut versorgt hatte, dann waren das Listen:
Liste regelmäßig auszuführender Hausmeistertätigkeiten. Die ich genauso regelmäßig zu ignorieren beschlossen hatte.
Liste saisonaler Hausmeisterpflichten. Mit Winterdienste momentan ganz obenan.
Liste aktueller, bei diversen Mietern zu behebender Mängel.
Liste der Wohnungen, in die eingebrochen worden war.
Liste der als entwendet gemeldeten Wertsachen und sonstigen Gegenstände.
Liste der leerstehenden Wohnungen. Regelmäßig zu patrouillieren: Nicht, dass sich da jemand einnistete. Und falls doch, dachte ich, dann sicherlich nicht, ohne dem neuen Hausmeister einen
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