Rotzig & Rotzig
laut wie nötig, „viele Ihrer Nachbarn halten Ihre Söhne für kriminell. Oder zumindest für in kriminelle Aktivitäten verwickelt.“
„Daran ist nichts wahr.“ Yvonne Kerner schüttelte kurz den Kopf, hielt sich dann die Schläfen. „Sie haben nicht zufällig ein paar Kopfschmerztabletten dabei?“ Mit fahriger Hand ging sie durch die Tablettenpackungen auf dem Couchtisch neben ihr. Es waren vielleicht ein Dutzend. „Oder draußen im Auto? Oder in Ihrer Wohnung? Im Arzneischrank? Nur ein paar, die Sie mir leihen können, bis ich mein nächstes Rezept ausgestellt kriege?“
„Nein“, sagte ich. „Ich nehme keine Tabletten.“
„Dann hauen Sie ab“, zischte sie und zog sich die Wolldecke wieder bis unter die Nase. „Sie und Ihre blöden Anschuldigungen.“
„Frau Kerner, Ihre Jungs verlangen Schutzgebühren für Autoreifen, klauen Fahrräder, treiben sich nachts unbeaufsichtigt draußen herum. Wissen Sie, was passiert, wenn das Jugendamt davon Wind bekommt?“
„Was? Jugendamt? Was ist hier los?“ Roland Siebling erschien in der Tür, kam aber nicht weiter in den Raum. Er trug dieselbe Trainingshose wie bei unserem letzten Treffen, dazu ein mit vollkommen nichtssagenden Slogans bedrucktes T-Shirt. Seine Augen und Lidränder waren rot, wie entzündet. „Ich versuche gerade zu erklären, dass sich Yves und Sean in Schwierigkeiten befinden.“
„Wer?“ Yvonnes Kopf kam aus der Wolldecke wie der einer Schildkröte aus ihrem Panzer. Sie blickte mich verständnislos an. Siebling sah über seine Schulter, drehte sich dann ganz um.
„Ihre Söhne“, sagte ich, betont und mit Nachdruck. Sie nahm die Hände hoch, legte sie sich auf die Ohren. „Nicht so laut“, flüsterte sie und sank zurück in ihre Decke. „Ich bin krank.“
„Jetzt hören Sie mal zu“, raunte Siebling. Dazu musste er sich geradezu mühsam zu mir umwenden, losreißen von den fesselnden Vorgängen im Kinderzimmer. „Die Jungs sind vielleicht ein bisschen wild, aber das ist noch lange kein Grund für diese Hetze. Diese alten Säcke in der Nachbarschaft sind doch alles Kinderhasser.“ Schon während des letzten Satzes blickte er wieder über seine Schulter.
„Ich habe die beiden beim Klauen, beim Leichenfleddern und beim Durchwühlen einer fremden Wohnung erwischt. Wenn Sie die Jungs nicht bald in den Griff bekommen, wird sich über kurz oder lang eine Behörde um ihre Erziehung kümmern.“
Er fuhr zu mir herum. „Was wollen Sie damit sagen? Dass wir die Jungs nicht im Griff hätten? Dass wir uns nicht kümmern?“
„Nicht so laut.“
„Das sind doch alles nur Gerüchte, verbreitet von der WODEGA, um mir, als Mitbegründer der Mieterinitiative, an den Karren zu fahren.“
Hatte ich gerade eben aufgezählt, wobei ich die Zwillinge persönlich ertappt hatte, oder nicht? Ich wurde ein wenig ungeduldig mit den beiden. Begriffen sie denn nicht, dass ich ihnen helfen wollte? Ich hatte mir meinen Vertrag mit der WODEGA noch mal genau angesehen. Sobald ich die Einbruchsserie gestoppt hatte, war mein Auftrag erledigt. Von einer Anzeige und Anklageerhebung gegen den oder die Täter war nirgendwo die Rede. Hauptsache, die Mieten kamen wieder rein. „Wir sind eine intakte Familie“, behauptete Siebling mit trotzig vorgestrecktem Kinn. „Und dass meine Frau zurzeit krank und erwerbsunfähig ist, ändert da gar nichts dran.“ Er sah über seine Schulter, er konnte nicht anders. „Ich habe die Jungs voll im Griff“, sagte er ins Kinderzimmer hinein, „und keiner kann mir was anderes erzählen.“
„Üffes und Sien sind gute Jungen“, warf die Mutter ein. Ich sah sie an. Es war nicht feststellbar, ob sie die Namen ihrer Söhne damit karikierte oder aber überzeugt war, sie würden tatsächlich so ausgesprochen. Ratsuchend blickte ich zum Stief, doch für den war die Sache offenbar erledigt. Er stand nicht länger im Türrahmen. Ich ging nachsehen.
Er saß vornüber gebeugt, wie angesaugt von dem Monitor. Sein Blick verlor sich in den Tiefen der Grafik, sein Denken offenbar auch, der Rest von ihm schien bestenfalls noch körperlich auf dieser Seite der Mattscheibe zu verweilen.
Die Perspektive auf dem Bildschirm folgte einem mit Pfeil und Bogen bewaffneten Muskelprotz schrittweise über ein antikes Schlachtfeld. Zottelige, fellbehangene Gestalten begleiteten den Bogenschützen, altertümliche Waffen in Händen. Es war befremdlich, geradezu peinlich, zu sehen, was für einen Hünen der schmächtige Stukkateur da
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