Rotzig & Rotzig
Sie für gewöhnlich das ganze geballte Feingefühl einer Straßenwalze an den Tag legen.“ Sie schnappte hörbar nach Luft. „Was maßen Sie sich an ...“
„Jemand muss den Kindern schonend beibringen, dass ihre Mutter für einen schwer absehbaren Zeitraum leblos und nicht ansprechbar sein wird. Und das, wenn eben möglich, nicht per Telefon. Also: Geben Sie mir Ihr Okay, setzen Sie die Familie Reiff davon in Kenntnis, und ich fahre raus nach Echternach und spreche mit den Jungs.“
Mit den Jungs sprechen. Ein so simples Anliegen. Vollkommen unglaublich, welche Verrenkungen ich veranstalten musste, es durchgesetzt zu bekommen. Seit der Mitnahme der Kinder durch das Jugendamt hatte ich die beiden nicht mehr zu Gesicht gekriegt. Es war absurd.
„Es tut mir leid, Herr Kryszinski, aber Ihre Motive sind mir zu dubios. Ich werde die Benachrichtigung der Kinder selbst in die Hand nehmen und wünsche Ihnen einen guten Tag.“
„Frau Wittig, warum wollen Sie partout nicht, dass ich die Wahrheit herausfinde?“
Unmöglich zu sagen, woher die Frage so plötzlich gekommen war. Intuition wahrscheinlich. Ein kurzes Schweigen entstand, abrupt gefolgt vom Freizeichen. Aufgelegt.
Kaum etwas ist schwerer zu deuten als ein Schweigen. Ähnliches gilt für das plötzliche Unterbrechen der Leitung. Hatte ich etwa, selbst für mich überraschend, einen Nerv getroffen?
Ich holte mir ein Holsten aus dem Kühlschrank und nuckelte grübelnd daran herum, während ich weiter auf einen Anruf der Zwillinge wartete. Irgendwann wurde es stickig in meiner Einzimmersuite, also öffnete ich die Balkontür einen Spaltbreit, und schon kam die Katze hereingestakst und quäkte schrill und vorwurfsvoll herum. Genervt hob ich sie hoch, trug sie zurück in ihr neues Heim bei Edna Mohr, rief dem tauben alten Stüttchen ein paar höfliche Belanglosigkeiten ins Ohr, ließ etwas Geld für Futter auf dem Tisch liegen, ging wieder zurück in mein Apartment, und die Katze jankte mich an.
Also packte ich sie am Nackenfell und schleuderte sie in hohem Bogen über die Balkonbrüstung hinaus in die Nacht, und Struppi und ich soffen Schampus und tanzten den Boogie-Woogie, bis der Morgen anbrach.
Na, nicht ganz. Noch bevor ich dem Mistvieh etwas antun konnte, kam Edna rüber, eine Pfanne voll Bratkartoffeln, eine Flasche Kirschwasser in den Händen und ein Kartenspiel unterm Arm. Struppi und die Katze rollten sich gemeinsam im Hundekorb zusammen, und Edna Mohr knöpfte mir beim Romme dreißig Euro ab, bis ich sie endlich rausgescheucht bekam. Die Kids riefen nicht ein einziges Mal an.
TAG 8
Am späten Vormittag rollte ich den letzten Hügel auf deutscher Seite hinab, kreuzte die Süre, parkte, holte mir an einem Kiosk einen Kaffee und ein paar Auskünfte, stieg wieder ins Auto, startete und stoppte kurz darauf vor der Ecole Gran-Duc Jean, der einzigen Ganztagsschule mit Schuluniformzwang in Echternach und Umgebung.
Wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, ist es schlimm mit mir.
Wie so viele moderne Schulbauten fiel auch die Gran-Duc Jean unter das architektonische Diktat des rechten Winkels, mit flachem Dach und einer klinisch fantasiebereinigten Fassade aus Stahl, Glas und Beton. Einzig dem Erdgeschossbereich hatten Graffiti-Sprayer Farbe und Leben eingeblasen. Man sollte sie fördern, wie Opernhäuser.
Ich stellte den Wagen so vor die Schulmauer, dass ich den Pausenhof im Auge behalten konnte, ohne auszusteigen oder mir den Hals zu verrenken. Vielleicht hatten die Reiffs das Päckchen durchsucht, meine Visitenkarte gefunden und konfisziert. Vielleicht hatten die Jungs die Karte gefunden, durften aber nicht telefonieren. Vielleicht hatten sie aber auch ganz einfach keinen Bock gehabt, keinen Sinn darin gesehen, keine Notwendigkeit, mit dem Hausmeister zu quatschen. Gleich würde ich es erfahren. Ein stumpfes Tock, Tock, Tock gegen die Seitenscheibe riss mich aus meinen Gedanken. Es kam von einem Gummiknüppel, gehandhabt von Claude Berck, der uniformierten Nervensäge. Ich rollte die Scheibe eine Handbreit runter.
„Was wollen Sie denn schon wieder?“, fragte ich, leicht gereizt wie ich schon mal bin im Umgang mit der Ordnungsmacht.
„Steigen Sie aus“, sagte er, mit einem Ernst, der ans Gravitätische grenzte. Im ersten Augenblick dachte ich daran, wegzufahren und den Blödmann einfach stehen zu lassen, doch Bercks Streifenwagen stand quer in allen meinen Spiegeln. Zögernd öffnete ich die Tür und stieg aus.
Berck steckte seinen
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