Rotzig & Rotzig
hochtourigem Brummen wühlte sich der Passat eine verschneite Steigung hoch. Hügelig war sie, die Gegend, ungemein hügelig. Und ungemein winterlich war sie auch. Der Wald blieb hinter uns zurück, und wir erreichten eine kahle, einsame, ausgesprochen zugige Kuppe. Schneeverwehungen allenthalben, manche kniehoch. Berck stoppte. Stieg aus, riss die Tür auf meiner Seite auf, packte mich an den Haaren und zerrte mich ins Freie, stieß mich mit dem Gesicht voran in den Schnee, wie zu einer Exekution. Etwas in meinem Rücken klickte metallisch, und ich drückte meinen Kopf unwillkürlich noch tiefer in den eisigen Puder, hielt den Atem an, wartete, wartete. Dann spürte ich wieder diesen heißen, ungesund erregten Atem an meinem Ohr.
„Zeigen Sie mich ruhig an“, keuchte Berck, und meine Handschellen ratschten auf. Das war's, was geklickt hatte. Ich hob die Nase, atmete wieder. „Wir lieben es, wenn sich potenzielle Kinderschänder über angeblich schlechte Behandlung beschweren.“ Er lachte. Es klang ein wenig gezwungen, nicht wirklich fröhlich, aber vielleicht täuschte ich mich auch. Ohne ein weiteres Wort richtete er sich auf, stieg in den Passat, knallte die Tür zu, wendete und fuhr davon. Ich krabbelte auf die Füße, wischte mir den Schnee aus Gesicht und Haaren und sah noch so eben Bercks Rücklichter verschwinden. Ich war ehrlich erleichtert. Wenn auch ein wenig dünn angezogen, für die Jahreszeit. Und für längere Fußmärsche. Suchend blickte ich mich um. Kein Anzeichen menschlicher Bebauung trübte die beständig dämmriger werdende Idylle. Der Weg vor mir war zugeschneit, ohne auch nur eine Fußoder Reifenspur, und konnte überall hinführen. Also richtete ich meine Schritte den Weg hinab, den ich gerade noch hochchauffiert worden war. Ein Raubvogelpärchen kreiste, eine Krähe krächzte. Und das war's an Gesellschaft.
Was für ein wundervolles Fleckchen Erde Luxemburg doch ist, dachte ich, während sich meine Sneaker voll Nässe sogen und ein frostbissiger Wind anfing, mir durch Plörren und Pelle zu blasen, bis meine Zähne klapperten wie der Ventiltrieb eines alten Ford Fiesta. Ich schaffte es, ohne mich zu verlaufen, trotz Dunkelheit und bestenfalls marginaler Ortskenntnisse. Ich schaffte es auch, ohne einen der vielleicht zehn oder zwölf passierenden Autofahrer zum Anhalten bewegen zu können, was meinen Marsch in Rückblick und Erzählung so viel heroischer wirken lässt. Ich schaffte es bis zu Leylas Cafebar, wo ich mich ein bisschen zusammenreißen musste, nicht den glühenden Holzofen in meine Arme zu schließen. Leyla sah von ihrer Tätigkeit auf - irgendetwas, das Kugelschreiber, Papier und Taschenrechner involvierte -, sah mich einmal rasch von oben bis unten an und sagte „Oh“. Ohne ein weiteres Wort ließ sie Rum in ein hohes Glas gurgeln, hielt das Glas unter die Dampfdüse der Espressomaschine, bis die Flüssigkeit brodelte, warf ein paar Stücke Kandis hinein und hatte, noch ehe ich protestieren konnte, schon einen Zitronenschnitz darüber ausgequetscht. „Hier“, sagte sie. „Trink das.“
Ich schnüffelte dran, und der Rotz lief mir aus der Nase wie ... wie eine beliebige Flüssigkeit aus einem größeren, von unten angestochenen Behälter. Ich wischte mir den Zachel mit einer Serviette und probierte einen Schluck vom Grog. „Pfui Teufel. Ohne die Zitrone wär's perfekt gewesen.“
„Zitrone ist gesund“, befand Leyla auf eine Art, die keinen Widerspruch duldete.
Mit dem Grog im Bauch und einem zweiten auf der Faust versuchte ich Leyla mit möglicherweise ganz leicht onduliertem Zungenschlag zur Herausgabe ihrer Autoschlüssel zu bewegen. Das fand sie keine so gute Idee, obwohl es doch, wie ich ein-, zweimal, möglicherweise auch öfter wiederholte, um die Rettung meines Hundes ging. Stattdessen machte sie die Bar dicht, zog eine Kette vor die Tankstellenzufahrt, schloss eine Garage auf und startete einen hellgelb flugrostigen 72er Datsun 1500 Pickup. Mit den Rückspiegeln noch vorn auf den Kotflügeln. Beinahe hätte ich ihr einen Antrag gemacht. „Jetzt erzähl mal, was los war“, forderte sie, drehte die Heizung auf Rot und beschleunigte in die Stadt hinein.
Also erzählte ich ihr zwischen Schlucken vom Heißgetränk und geplagt von schwerer und schwerer werdenden Lidern die Geschichte meiner Verhaftung, Registrierung und anschließenden Deportation in die Wildnis der Luxemburger Schweiz.
Irgendwann sagte sie: „Ich verstehe immer noch nicht, was genau du da
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