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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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sie so zu tun, als gäbe es mich nicht, „Na?“, fragte ich den Deutschen, der Bekanntschaft mit Struppis Zähnen gemacht hatte. „Wie geht's dem Bein?“ Grummeliges Brummeln gab mir zu verstehen, dass es wohl dranbleiben würde.
    „Metin, kann ich dich mal 'ne Sekunde sprechen?“, fragte ich dann. Er zuckte nur die Achseln, also nahm ich ihn ein paar Schritte beiseite. „Yvonne Kerner hat sich überdosiert. Mit Kopfschmerztabletten. Weißt du, woher sie die Pillen hatte?“
    „Nicht von mir, Hausmeister. Wüsste gar nicht, wie ich da drankommen sollte.“
    „Fallen dir irgendwelche Drogenköpfe ein, irgendwelche Junkies, die immer eine paar Tage nach den Einbrüchen, immer nach Ablauf der üblichen Ebay-Fristen plötzlich das Geld hatten, größere Mengen zu kaufen?“
    „Tja, nun.“ Metin zog die Nase hoch, blickte gewohnheitsmäßig die Straße rauf und runter. „Da fragst du den Falschen.“
    Nach einer Sekunde oder so ging mir auf, was er damit sagen wollte: Er verkaufte nur kleinere Mengen. Vier Mann, um dir den Rücken freizuhalten, acht Stunden Eckenstehen jeden Tag, immer auf der Hut vor den Bullen und der Konkurrenz, um dann mit vielleicht hundert Öcken Gewinn heimzugehen und dich eins mit deinen Idolen auf MTV zu fühlen. Aah, Gangsta zu sein. Ich fuhr nach Hause in die Innenstadt. Umrundete meinen Wohnblock und die nähergelegenen Parkplätze. Sah niemanden, der in einem tiefergelegten BMW hockte und Messer schliff, um mich auf traditionell islamische Art abzukehlen. Gut so. Vielleicht fiel mein Kurdenproblem ja allmählich in sich zusammen. In der Sparkassen-Arkade im Forum steckte ich Yvonnes EC-Karte in den Drucker für Kontoauszüge. Er rappelte endlos vor sich hin und hatte zum Schluss regelrecht zu würgen, den Stapel auszuspucken. Er reichte vier Monate zurück. So lange also hatte sich Yvonne Kerner nicht mehr für ihre Belege interessiert. Ich hockte mich auf eine der Bänke, zwischen die Rentner, denen zu Hause die Decke auf den Kopf fiel, und die Ehemänner, die hier geparkt wurden, während ihre Frauen Schuhe anprobierten. Weihnachtsmusik umsäuselte meine Ohren wie Struppis Fürze schon mal meine Nase umschmeicheln.
    Langsam, Blatt für Blatt, ging ich die Auszüge durch. Es war immer dasselbe. Die Beträge mit dem Plus dahinter kamen aus drei Quellen: Sozialamt, Jugendamt und, immer zur Monatsmitte, eine anonyme Bareinzahlung. Von gerade mal hundertfünfzig Euro. Nimm dieses Geld und Schwamm drüber. Mickrige hundertfünfzig Euro.
    Sicher, ich hab dich vergewaltigt, aber du hast es ja so gewollt. Also, nimm dieses Geld und kein weiteres Wort mehr darüber.
    Niemand lauerte im Treppenhaus, keine neuen Graffiti verzierten meine Wohnungstür. Keine Anrufe auf dem AB.
    Keine Feinde, keine Freunde. Kein Mensch schien mich zu vermissen. Vielleicht sollte ich mir tatsächlich das Kochen beibringen. Gesellig werden. Beliebt. So schwer kann das nicht sein.
    Ich verschloss die Tür, hockte mich aufs Sofa, griff zum Telefon und wählte die Nummer des Katholischen Krankenhauses. Sollten Yves und Sean mich anrufen, wollte ich auf dem neuesten Stand sein. „Siebling hier. Roland Siebling. Meine Frau ist vorhin mit dem Krankenwagen bei Ihnen eingeliefert worden, Yvonne Kerner. Könnten Sie mich bitte mit dem behandelnden Arzt verbinden?“ Man stellte mich durch zur Inneren, und ich erwartete so halb und halb ein Sie schon wieder zu hören zu kriegen. Doch nein. Siebling hatte sich offenbar bisher noch nicht nach dem Befinden seiner Frau erkundigt. Entzückend. Meine Gattin lag im Koma, erfuhr ich, keinerlei Prognose möglich.
    Mich packte das vage, fast schon irreale Gefühl, dabeizustehen, während Yves und Sean Kerners Leben binnen kürzester Zeit komplett aus den Fugen geriet. Und wer hatte den Stein ins Rollen gebracht? Ungeduldig sah ich auf die Uhr. Die beiden Bengel müssten inzwischen längst wieder aus der Schule zurück sein. Doch mein Telefon blieb stumm. Kurz entschlossen griff ich noch mal zum Hörer und rief das Jugendamt an. Mit ein bisschen Glück erwischte ich Frau Wittig noch in ihrem Amtszimmer. Ich hatte das Glück. Wenn es denn eines war. „Frau Wittig, die Mutter von Yves und Sean ist heute Mittag ins Koma gefallen. Niemand kann vorhersagen, ob und wann sie wieder daraus erwachen wird.“
    „Nur gut, dass die Jungen das nicht miterleben mussten.“
    „Die Frage ist: Wer soll den beiden diese Nachricht überbringen? Sie vielleicht?“
    „Wieso denn nicht?“
    „Weil

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