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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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nach elf?“ Im Safe stand eine Flasche Cognac. Und zwar allein. Keine Einmachgläser voll Glitzersteinchen oder worin auch immer man die Klunker einlagert. Ich fragte mich, ob Reiff möglicherweise mit Diamanten handelte, ohne sie jemals wirklich zu Gesicht zu bekommen, sozusagen virtuell. Er goss zwei kleine Schnapsgläser voll, keine bauchigen Schwenker. Hier ging es eindeutig mehr um die Entfaltung der Wirkung als um die des Aromas. Wir prosteten uns zu, er mit einem verstohlenen Blick auf die Tür. „Jede Menge Kinder auf den Fotos“, bemerkte ich mit dem mir eigenen professionellen Scharfsinn. „Ja, es ist erstaunlich, mit welchem Tempo aus Kindern Fotos werden, Erinnerungen. Aber wir sind nun mal eine Durchgangsstation, und das ist auch gut so. Meiner Frau bricht das Herz bei jedem Abschied. Mir geht es nicht ganz so nahe, sonst könnte ich diese Aufgabe wahrscheinlich auch nicht erfüllen.“ Er ging versonnen von Bild zu Bild. „Wir betreuen hier Waisen, Halbwaisen, Waisen auf Zeit, weil die Eltern im Knast sitzen oder sonst nicht in der Lage sind, sich um ihre Sprösslinge zu kümmern. Kinder, die aus ihrem Umfeld gelöst werden mussten, weil sie kriminell wurden. Ihre Zwillinge sind da noch harmlose Kunden. Wir hatten auch schon Exmitglieder von Banden hier, bis hin zu ehemaligen Kindersoldaten. Was manche dieser Kids erlebt haben, ist unvorstellbar. Doch alle diese Seelen brauchen nun mal eine Herberge auf ihrem Weg zur Adoption oder in eine Wohngruppe oder ins Erwachsenenleben.“
    Die Tür wurde rüde aufgestoßen und plötzlich stand nur noch ein Schnapsglas auf dem Schreibtisch. Meins. Privatdetektiv Kryszinski, wie man ihn kennt: schon morgens um elf am Glas.
    Ein elektrischer Rollstuhl kam ins Zimmer gefahren, an Bord ein blonder Junge von schwer zu schätzendem Alter mit schwersten Behinderungen.
    „Manche bleiben uns natürlich auch“, meinte Reiff mit Rührung in der Stimme, ging rüber zu dem Jungen und tätschelte ihm den Kopf wie einem Hund. „Ein tragischer Unfall“, erklärte er. „Fenstersturz. Hier, in unserem Haus. Eine Katastrophe. Und obwohl ich nicht weiß, wie ich das hätte verhindern sollen, fühle ich bei Angelos Anblick regelmäßig einen Stich des Gewissens, der Hilflosigkeit und, ja, Mitschuld.“ Der Junge nahm Reiffs Worte und Berührungen ohne jede Regung hin, ruckte seinen Steuerknüppel in eine andere Position, wendete und surrte wieder aus dem Raum.
    „Alle anderen Kinder sind um diese Uhrzeit natürlich in der Schule“, sagte Reiff. „Doch ich will Ihnen den Gefallen tun und das Jugendamt in Mülheim anrufen. Mit deren Okay können wir vielleicht heute am frühen Abend ein Treffen arrangieren. Wo hab ich denn die Nummer?“ Er suchte ein bisschen herum, wählte dann. „Frau Wittig? Reiff hier, Jean-Luc Reiff.“ Er lauschte. „Gut. Ausgesprochen gut. Ich habe das Gefühl, dass die beiden sich schnell einleben werden. Doch ich rufe aus einem anderen Grund an. Ich habe hier Privatdetektiv Kryszinski sitzen, der den Jungs ein Päckchen übergeben und ihnen ein paar Fragen stellen möchte. Dazu brauchten wir natürlich Ihr Einverständnis ...“ Er lauschte wieder, zog ein Gesicht, reichte den Hörer kommentarlos an mich weiter.
    „Wie sind Sie überhaupt an die Adresse gekommen?“, spie mir Frau Wittig ins Ohr. Jetzt zurückzublaffen hätte nichts genutzt, also schaltete ich um auf blöd. „Nun, die Mutter hat mich gebeten, den Jungs ein paar Sachen zu bringen ...“
    „Sie erdreisten sich, ohne Absprache und hinter meinem Rücken den Kontakt zu diesen Kindern zu suchen?“
    „Tja. Ohne Kontakt ist es nicht ganz einfach, etwas auszuhändigen, oder wie sehen Sie das?“
    „Wie ich das sehe?“ Sie war prächtig in Fahrt jetzt. Angekratzte Autorität. Immer ein wunder Punkt bei Leuten, die die Macht als Krücke brauchen. „So wie ich das sehe, werde ich niemals meine Einwilligung dazu geben. Niemals, haben Sie gehört?“
    „Klar doch“, sagte ich. „Und ich werde es Herrn Reiff genau so ausrichten.“ Ich legte auf. „Sie ist einverstanden“, sagte ich.
    Eine Sekunde lang blickte er vollkommen verblüfft drein. Dann grinste er. „Netter Versuch, Herr Kryszinski.“
    Ich zuckte die Achseln, reichte ihm das Päckchen mit den beiden Kuscheltieren. Und meiner unauffällig in die Bauchtasche des Pandas gestopften Visitenkarte. Manchmal bereue ich es, kein Handy zu haben, aber diese Momente sind selten. Nur zur Sicherheit hatte ich auch die Nummer der

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