Rotzig & Rotzig
die Behörden einmal gegen dich verschworen haben, Kristof, dann beißt du nur noch auf Granit.“
„Ich kenne das.“
„Das Anwesen der Reiffs ist eine Festung, Kristof, bewacht von allen möglichen Echternacher Institutionen. Die Kinder sind darin gefangen, angeblich natürlich nur zu ihrem Besten. Aber ich glaube das nicht mehr.“
Ich dachte an die Küche, die Kinderbilder, dachte an Ann-Kathrins Kakao und Jean-Lucs Cognac. Dachte daran, wie er seine Gefühle von Mitschuld an Angelos Tragödie eingestanden hatte. Alles nur Show? „Seit zwei Jahren versuche ich nun schon, jemanden für meinen Verdacht zu interessieren. Ohne jeden Erfolg.“ Sie griff in eine Schublade, zog ein Foto heraus, hielt es mir hin.
„Er war so ein hübscher Junge, oder nicht? So hübsch.“
Ich musste ihr recht geben. Der Angelo auf dem Foto war blond, schmal, blauäugig, etwa neun bis zehn Jahre alt.
Genau, fiel mir auf, wie die Zwillinge.
Ursprünglich hatte ich heute noch mal vorgehabt, Yves und Sean an der Schule abzupassen, doch es war Samstag und damit unterrichtsfrei. Also ab nach Hause, nach Mülheim. Auf der Autobahn schaltete ich hoch und ließ den Wagen rollen. Die Mühle vorn unter der Haube und die Mühle oben unter meinem Dutt rotierten mit gleichmäßiger Drehzahl vor sich hin.
Von der Beschuldigung der Jungs bis zu ihrer Abreise gen Luxemburg waren weniger als vierundzwanzig Stunden vergangen. Ein seltener, großer Glücksfall, wie es die Heimleiterin in Gelsenkirchen-Buer ausgedrückt hatte.
Oder - abwegig, wie es klingt - das Ergebnis sorgfältiger Planung. Jemand hatte darauf gelauert, hatte eventuell dafür gesorgt, dass die Jungs straffällig und dabei erwischt wurden. Und auch dafür, dass ihre Tablettensucht Yvonne Kerner das Sorgerecht kostete. Eigentlich unvorstellbar. Eigentlich, dachte ich.
Ich ging in den Keller, holte meine Werkzeugkiste, erklomm die zehn Etagen. Um an den Flachbildschirm zu kommen, war die Tür zu meiner Hausmeisterwohnung klassisch aufgedrückt worden - Brecheisen in den Türspalt treiben und ruckartig hebeln, bis das Schließblech nachgibt. Dabei entsteht weder allzu großer Lärm noch allzu großer Schaden. Ein paar kleine Nägel, ein paar Schrauben und ein Tröpfchen Leim, und zumindest die Funktion der Tür lässt sich wiederherstellen. Ich hob das rausgebrochene Schließblech auf, klopfte es mit dem Hammer wieder gerade. Dann rieb ich mit dem Finger etwas Leim in das gesplitterte Holz des Türrahmens und setzte einen Nagel an, um alles wieder in Form zu bringen. Doch irgendwas hing von meinem Leimfinger und wollte sich nicht mehr von ihm trennen. Ein Haar. Ein langes Haar. Ein Frauenhaar. Lang und mausig. Ich hielt es gegen das Licht. Lang, mausig und am untersten Ende mit einem Rest von blonder Tönung.
Nachdenklich klebte ich das Haar an eine Stuhllehne, nachdenklich griff ich zum Hammer, nachdenklich trieb ich den Nagel ins Holz, presste damit die Splitter zusammen, bis der Leim aus den Fugen quoll. Während der gesamten Spielplatz-Sanierungsaktion hatte Roland Siebling in auffälliger Manier herumgefuhrwerkt. Ja, er war so weit gegangen, den anwesenden Polizisten zu bitten, ihn - und mich - im Auge zu behalten.
Zur selben Zeit, während ich noch auf meiner morgendlichen Hausmeisterrunde war, brach Yvonne Kerner bei mir ein, klaute den Bildschirm und brachte ihn runter in den Fahrradkeller, in die geheime Höhle ihrer beiden Söhne. Damit ich ihn dort entdeckte und meine voreiligen Schlüsse zog. Und nur für den Fall, dass ich - und hier setzte ich mich auf den Hintern, ließ den Hammer sinken und starrte ins Leere -, nur für den Fall, dass ich zögern sollte, den Fall amtlich zu machen, war mir von Siebling persönlich noch der Gesetzbuch-Evangelist POM Schuster an die Fersen geheftet worden. Struppi sah mich etwas sorgenvoll an, wie ich so dahockte und vor mich hinstierte. Hatten sich tatsächlich der Stief und die Mutter zusammen gegen die Jungs verschworen? Oder ging da etwas mit mir durch?
Ich stand auf, zog meinen gesammelten Papierkram aus den diversen Taschen meiner Jacke und legte ihn auf den Tisch. Als Erstes knöpfte ich mir noch mal Yvonnes letzten Kontoauszug vor. Mal ganz davon abgesehen, dass sich eine ausgewachsene Tablettensucht nicht von hundertfünfzig öcken im Monat finanzieren lässt, war der Betrag für Dezember noch gar nicht eingegangen. Trotzdem hatte Yvonne genug Pillen anschaffen können, um sich damit das Lebenslicht bis auf ein
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