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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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einer Großfamilie, die sich teils freiwillig, teils nur unter halbherzigem Protest gegenseitig zu Bett bringt. „Morgen ist Schule“, hörte ich, „und spät ist es auch schon. Zähne geputzt? Na dann gute Nacht. Aber, aber ... Nein, Schatz, jetzt wird geschlafen.“ Ich erkannte Ann-Kathrins müde Stimme, und die so beruhigend väterliche von Jean-Luc. Es klang alles so warm, so idyllisch, so liebevoll, so ... unschuldig, dass mich ein jäher Zweifel an meiner eigenen Zurechnungsfähigkeit packte und regelrecht durchschüttelte. Hatte ich mich hier in einen Wahn gesteigert, der nur mit hohen Dosen Diazepam wieder zu befrieden sein würde? Wer sagte mir denn, dass Angelo Muller in diesem Haus vergewaltigt worden war und nicht in der Schule oder im Sportverein? Welche Aussagekraft hat das eingeblendete Datum auf einem digitalen Foto?
    Wie von allein fand meine Hand ihren Weg unter das Kopfkissen rechts von mir. Nur zur Sicherheit sah ich auch unter dem anderen nach. Kein Panda, kein Dackel. Ich hatte es gewusst. Yves und Sean waren nicht ausgerissen, sondern befanden sich nach wie vor hier, in Begleitung ihrer Kuscheltiere, irgendwo ganz in meiner Nähe. Noch.
    Das rote Warnlicht auf dem Mobilfunkmast blinkte und blinkte durchs Fenster hinein.
    Natürlich hatten Leblanc und Menden recht, wenn sie sagten, dass ich über keinerlei Beweise verfügte. Doch um die zu besorgen, war ich schließlich hergekommen. Also.
    Klappende Türen, trippelnde Füße und rauschende Spülungen kündeten von letzten dringenden Verrichtungen, bevor man sich beruhigt dem Schlaf anheimgeben konnte.
    Allmählich kam die Etage zur Ruhe. Mit einem Schraubenzieher hob ich die geschlossene Tür ein Millimeterchen und quetschte ein bisschen Graphitstaub auf die zum Quietschen neigenden Drehflächen der beiden Scharniere. Dann trat ich raus in den sparsam beleuchteten Flur und ging ohne zu zögern weiter bis ins Treppenhaus mit seinen so wundervoll geräuschabsorbierenden Marmorstufen. An der Reiffschen Privatetage vorbei, hoch bis unters Dach. Die hölzerne Wendeltreppe zum Speicher neigte zum Knarzen, doch indem ich meine Sneaker sachte und nur an den Außenseiten der Stufen aufsetzte, schaffte ich es ohne Lärm bis vor die Tür zum Trockenboden. Abgeschlossen. Leise sortierte ich den Ring von Dietrichen im weichen Leder meiner Handschuhe. Schon der zweite passte. Klack.
    Alle Speichertüren quietschen, und immer befinden sich die Scharniere auf der Innenseite. Ich drückte den Griff und gab der Tür einen einzigen leichten Schubs mit der Schulter, schob mich mit angehaltenem Atem durch den Spalt.
    Der unnachahmliche Geruch von Holz, Staub und Taubenkacke empfing mich.
    Die Speichertür war vom Fuß der Treppe aus nicht zu sehen, also ließ ich sie offen, blieb stehen, lauschte. Wasserleitungen, Fernsehlautsprecher, kein Zeichen von Alarm, nur die ganz gewöhnliche Geräuschkulisse eines sich allmählich bettenden Hauses. Dann surrte der Windenmotor des Aufzuges, verstummte und blieb stumm. Der Fernseher lief weiter. Einer aus dem Haushalt der Reiffs hatte sich in den Keller begeben, der andere nicht. Hm. Leisen Schrittes ging ich hinüber zur Tür von Angelos ehemaliger Dachkammer, knackte das Schloss, ließ mich ein, zog meine Taschenlampe hervor und begann unverzüglich mit einer gründlichen Durchsuchung. Unterseiten und Hinterseiten, das sind die üblichen Verstecke, das sind die Orte, die kein Wedel, kein Lappen und kein Sauger je aufstört.
    Ich zog das Bett ab, hob die Matratze an, leuchtete und tastete den Spalt zwischen Bettgestell und Wand ab, ging durch einen vergessenen Wäschestapel im Kleiderschrank, durch die Taschen der seit Angelos Unfall überflüssig gewordenen Schuluniform, steckte meine Finger in die nie mehr benötigten Sportschuhe, kippte schließlich den Schrank ein Stück nach vorn und beleuchtete seine Rückwand. Nichts.
    Ich drehte den Stuhl um, blickte hinter und unter den Schreibtisch, hob die Schreibunterlage hoch, zog die Schublade heraus, leerte sie aufs Bett, drehte sie um, überflog alles, was sich an Zeichnungen, Heften und Büchern finden ließ, verfuhr genauso mit dem Nachttisch, blickte hinter sämtliche Bilderrahmen und Kalender, drehte eine systematische Runde durch das ganze Zimmer. Nichts.
    Das Bett war mittlerweile ein Chaos an Utensilien und Papier, also stellte ich den Stuhl wieder auf seine fünf Räder und setzte mich darauf.
    Unterseiten, Hinterseiten. Hinterseiten, Unterseiten. Die

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