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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Schreibtischlampe war ein schweres, altes Ding mit einem großen, runden Fuß. Ich hob sie an. Bingo. Langsam blätterte ich die beiden zweifach gefalteten Zeichnungen auf und strich sie glatt.
    Zwei Porträts.
    Zwei Männergestalten.
    Eine war mit Onkel Ali überschrieben. Unter dem weißen, von einer Doppelkordel gehaltenen Handtuch auf dem Kopf war Onkel Ali mondgesichtig, sein rundes Kinn umrahmt von einem kurzen pechschwarzen Bewuchs.
    Das andere Bild zeigte Onkel Ben, einen Mann mit auffallend roter Nase und einem grauen Fotzenbärtchen. Beiden Dargestellten gemein war ein Gesichtsausdruck mit manisch aufgerissenen Augen und offenen Mündern voll gierig gebleckter, dreieckig-spitzer Zähne. Beide Männer waren nackt. Onkel Ben stand eher dürr und rosa da, Onkel Ali dagegen schmerbäuchig und weiß unter vielen, vielen schwarzen Haaren am ganzen Körper.
    Die Lendenbereiche beider Männer waren überzogen von wütendem Gekrakel aus senkrechten, waagerechten und diagonalen Linien, fast schon verzweifelt bemüht und dann doch außerstande, zur Gänze auszulöschen, was dort ursprünglich abgebildet, was dort tief mit dem Stift ins Papier gegraben worden war, in sicherlich übertriebenen Proportionen, aber absolut lebensechtem Detail.
    Gewissenhaft faltete ich die beiden Zeichnungen wieder entlang der Knicklinien und verstaute sie in einer Brusttasche meines Overalls, schloss den Klettverschluss.
    Beweise? Ihr wollt Beweise? Ich bringe sie euch. Ich erhob mich, die Tür flog auf, und ein grelles Licht fuhr mir in die Augen wie zwei spitze Finger, eine Hand packte meine Gurgel wie eine Baggerschaufel ein Erdkabel, und etwas stach mir in die Schulter wie, tja, wie eine Nadel. Vorn an einer Injektionsspritze, gehandhabt ohne die Vorsicht der intravenösen, ohne die Umsicht der subkutanen, sondern mit der ganzen Burschikositat der intramuskulären Verabreichung. Einfach reingehackt und abgedrückt, und Kryszinski schmolz dahin wie ein Stück Butter in der Pfanne.
    Keine Ahnung, was sie mir da verpasst hatten, aber ich stand, als ich wieder beikam. Und zwar im Aufzug, die Hände auf dem Rücken gefesselt, und die Lippen mit Klebeband verschlossen, an den Armen gehalten von zwei Typen in Sturmhauben und schwarzen Kampfanzügen. Wahrscheinlich die Bodyguards, die ich im Q7 hatte sitzen sehen. Sie waren beide größer als ich, breiter, schwerer, kräftiger. Nicht, dass es jetzt, wo ich gefesselt war, noch darauf ankam. Der rechts von mir roch auffallend nach einem grässlich süßlichen Parfüm, und dem links von mir zitterten die verkrampften Hände. Soldaten, schätzte ich, keine Polizisten. Polizisten kriegen keinen Shake davon, einen Gefangenen zu handeln. Es ist Teil ihres Alltags.
    Reiff stand vor mir, mit dem Rücken zur Tür, und sah durch mich hindurch, tief in Gedanken. Gedanken, die ihm einen leichten Schweißfilm auf die Stirn legten und mir so etwas wie Rohrreiniger durchs Gedärm jagten. Das Gefühl, meinen letzten großen Fehler begangen zu haben, kam und wollte nicht mehr gehen. Alle meine Hoffnungen ruhten plötzlich auf Leyla und einem möglichst rasanten Verstreichen der ursprünglich einmal auf zwei Stunden anberaumten Frist, bevor sie die Bullen rief.
    Der Aufzug stoppte, und das K auf dem untersten Knopf leuchtete rot. Reiff schob einen Schlüssel in den unbeschrifteten, vollkommen unauffälligen Zylinder unterhalb der Rufknopfleiste, drehte ihn herum, und der Aufzug ruckte erneut an. Weiter abwärts. Die Kabine stoppte, die Tür glitt auf, Reiff ging vor, und meine beiden Begleiter und ich folgten ihm. In einen Keller unter dem Keller. Oder nein: In einen Gang, der sofort zweimal rechts abknickte und dann vielleicht zwanzig Stufen treppab führte. In einen Keller unter dem Park. Boden, Decken, Wände, alles war aus grau lackiertem Beton.
    Ein Bunker, einziger Zugang vom Haus durch den schlüsselgesteuerten Aufzug. Kein Wunder, dass er mir bisher entgangen war.
    Hinter uns schloss sich eine Tür mit solidem Wumms und dem feinen Zischen einer gasdichten Versiegelung.
    Gas- und schalldicht, anzunehmenderweise.
    Wie zur Bestätigung meiner letzten These drehte Reiff sich zu mir um und rupfte mir das Klebeband vom Mund.
    „Habe ich Ihnen nicht goldene Brücken gebaut?“, herrschte er mich an. „Habe ich Ihnen nicht dringend nahegelegt, sich wieder nach Mülheim zu verziehen?“
    „Im Gegenteil“, krächzte ich, meine Gurgel noch etwas mitgenommen von der Attacke gerade. „Sie haben mich damit

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