Rotzig & Rotzig
wie von allein mal wieder die Frage nach der Natur der Handelsware.
Ich warf einen Blick auf die Uhr, einen Blick aus dem Fenster. Dichte, tief hängende Wolken hatten endgültig das sonnige Wetter ersetzt und versprachen einen frühen Einbruch der Nacht.
Mein Magen gab ein so lautes Geräusch von sich, dass Struppi aufsah.
Ich hatte einen denkbar simplen Auftrag im Hausmeisterkostüm angenommen, der sich inzwischen zu etwas auswuchs, das meine Risikofreude an ihre Grenzen brachte.
Ich griff noch mal zum Telefon. Während ich darüber grübelte, wen ich wie dazu bringen könnte, an meiner statt seinen Hals zu riskieren, wählte ich meine eigene Nummer und hörte den Anrufbeantworter ab. Nur zwei neue Nachrichten. Die erste war von Menden, der in eisigem Tonfall meinen Rückruf forderte, der zweite von Nazdar, deren Ermordung ich verhindert hatte. Ihre Stimme war panisch, durchsetzt mit Schluchzern. „Sie sind vor dem Haus, Herr Kryszinski! Mein Vater, meine Brüder. Woher wissen die, wo ich bin? Herr Kryszinski, sind Sie da? Warum gehen Sie nicht dran? Sie klingeln! Sie klingeln an der Tür!“ Ende. Die verdammte Automatenstimme quakte mir ungerührt vor, dass Nazdars Hilferuf mittlerweile einen Tag alt war. Hastig wählte ich die Nummer vom Mülheimer Präsidium.
„Hauptkommissar Menden, Kripo Mülheim.“
„Mich hat ein Notruf der kleinen Nazdar erreicht. Leider schon einen Tag alt. Wissen Sie da etwas drüber?“
„Nein. Und versuchen Sie nicht, mich abzulenken, Kryszinski. Ich will Sie sehen, Auge in Auge, hier im Präsidium. Und zwar jetzt und in Begleitung des Rechners, den Sie die Stirn hatten, ein zweites Mal zu entwenden, und diesmal aus meinem Büro.“
„Der Rechner ist voller Kinderpornografie und wird gerade professionell untersucht. Was ist mit Nazdar? Können Sie das in Erfahrung bringen und mich dann zurückrufen?“
„Kryszinski, ich will, dass Sie augenblicklich Ihren Arsch hierher...“
„Ich komme sowieso nicht. Also, Menden, nun machen Sie schon.“ Ich hängte ein, ehe er mir weiter drohen konnte.
Warum hatte Nazdar mich angerufen und nicht die Polizei? Weil sie davon ausgehen musste, dass irgendjemand sie an ihre Familie verraten hatte. Irgendjemand, der ihre neue, geheime Adresse kannte. Also, zum Beispiel, jemand von der Polizei.
Erst wenn man der Staatsmacht nicht mehr trauen kann, merkt man, was man bis dahin an ihr gehabt hat. Das Telefon klingelte.
„Nachbarn haben Schreie gehört. Als die Kölner Kollegen eintrafen, war das junge Mädchen schon verschwunden.“
„Verschwunden.“
„Ja. Alles deutet auf eine Entführung durch ihre Verwandten hin.“
„Falls Sie die suchen, die liegen zu viert hier im Krankenhaus. Einer davon auf der Pathologie.“
„Lassen Sie mich raten, Kryszinski. Oder nein, vielleicht besser nicht.“
„Um ein Haar wäre ich derjenige auf dem Seziertisch gewesen. 0 mein Gott. Sieben Schuss.“
„Was?“
„Ich rufe Sie gleich wieder an.“
Fünf Kugeln. Es müssen fünf sein, um Schande von der Familienehre zu tilgen. Jag deiner Schwester nur vier Kugeln in den Kopf, nur vier Messerstiche in den Bauch, und sie kann anschließend so tot sein, wie sie will, die Nachbarn rümpfen weiterhin die Nase. „Police Grand-Ducale, Commissaire Leblanc.“
„Haben Sie schon im Kofferraum des BMW nachgesehen?“
„Der Deckel war durch den Unfall verklemmt. Doch mittlerweile, ja. Wir wissen nun, wo fünf der sieben Kugeln hingegangen sind.“
„Der Jüngste wird die Tat gestehen, und anschließend müssen Sie die ganze Bande laufenlassen.“
Er seufzte einmal und hängte dann grußlos auf.
Ich wählte wieder Mendens Nummer.
„Nazdar ist tot“, sagte ich. „Erschossen. Wie alt ist sie geworden?“
„Sechzehn“, sagte Menden.
„Damit stand sie unter Aufsicht des Jugendamtes, richtig?“
„Ja. Wieso?“
„Des Mülheimer Jugendamtes?“
„Solange sie hier gemeldet war, ja. Worauf wollen Sie hinaus?“
Warum wollen Sie partout nicht, dass ich die Wahrheit herausfinde?, hatte ich die Leiterin des Mülheimer Jugendamtes gefragt. Und sie war mir die Antwort schuldig geblieben.
„Wer hat die Zwillinge nach Echternach verschoben? Wer wusste, dass ich den beiden nachgereist bin? Und wer kannte gleichzeitig Nazdars Adresse? „Frau Wittig.“
„Jugendamtsleiterin Wittig. Ich bin mir sicher, sie hat gewusst, dass die Kinder an Reiff verkauft wurden, und hat daran mitverdient. Und als ich misstrauisch wurde, hat sie mir die Kurden
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