Rousseau's Bekenntnisse
ein sehr liebenswürdiger Charakter. Ihr schien der meinige zu gefallen, und sie that alles, was sie vermochte, um sich mir gefällig zu erzeigen; allein niemand war ihr dabei behilflich, und ich war über all diesen großen Antheil, den man scheinbar an mir genommen, bald enttäuscht. Man muß den Franzosen indessen Gerechtigkeit widerfahren lassen; sie erschöpfen sich nicht so sehr, wie man behauptet, in Versprechungen, und die, welche sie machen, sind fast stets aufrichtig gemeint; aber sie haben eine Weise, sich scheinbar für dich zu interessiren, die mehr täuscht als Worte. Die groben Schmeicheleien der Schweizer können nur Thoren irreführen. Das Benehmen der Franzosen ist dabei schon um deshalb verführerischer, weil es einfacher ist; man sollte glauben, daß sie dir nicht alles sagen, was sie thun wollen, um dich um so angenehmer zu überraschen. Ja, ich sage noch mehr: sie sind in ihren Kundgebungen nicht falsch; sie sind von Natur dienstfertig, menschenfreundlich, wohlwollend und, was man auch darüber sagen möge, sogar wahrer, als irgend ein anderes Volk; aber sie sind leichtsinnig und unbeständig. Sie haben wirklich die Gesinnung, die sie dir zu erkennen geben; aber diese Gesinnung vergeht, wie sie gekommen ist. So lange sie mit dir reden, sind sie voll von dir; sehen sie dich nicht mehr, so vergessen sie dich. Sie haben für nichts ein bleibendes Gedächtnis; bei ihnen ist alles ein Werk des Augenblicks.
Mir wurden viele äußere Freundlichkeiten, aber wenig wahre Dienste erwiesen. Der Oberst Godard, für dessen Neffen ich bestimmt war, entpuppte sich als ein alter filziger Geizhals, der mich, obgleich er im Golde wühlte, bei der Wahrnehmung meiner Noth für nichts haben wollte. Ich sollte bei seinem Neffen eher eine Art von unbesoldetem Diener als ein wirklicher Hofmeister sein. Beständig an seine Person gefesselt und um deswillen vom Dienst befreit, sollte ich von meinem Sold als Kadet, das heißt vom Soldatentractamente, leben, und kaum verstand er sich dazu, mir die Uniform zu geben; nach ihm hätte ich mich mit der vom Regimente gelieferten begnügen sollen. Ueber solche schmachvolle Anerbietungen empört, bewog mich Frau von Merveilleux selbst, sie abzulehnen; ihr Sohn theilte ihre Ansicht vollkommen. Man suchte nach anderen Auswegen, fand aber keine. Mittlerweile trat die Noth immer näher an mich heran; mit hundert Francs, welche zur Bestreitung meiner Reisekosten hatten dienen sollen, konnte ich nicht lange ausreichen. Glücklicherweise erhielt ich von dem Herrn Gesandten noch einen kleinen Zuschuß, der mir sehr zu Statten kam, und ich bin überzeugt, daß er mich bei längerer Geduld nicht im Stich gelassen hätte; aber ruhig abwarten, flehen sind für mich Dinge der Unmöglichkeit. Ich verlor den Muth, erschien nicht mehr, und alles war zu Ende. Meine arme Mama hatte ich nicht vergessen; aber wie sie finden? wo sie suchen? Frau von Merveilleux, die meine Geschichte kannte, hatte mir bei meinen Nachforschungen hilfreiche Hand geleistet, und lange Zeit vergebens. Endlich benachrichtigte sie mich, daß Frau von Warens bereits vor zwei Monaten wieder abgereist wäre, daß man jedoch nicht wüßte, ob sie nach Savoyen oder nach Turin gegangen, und daß sie sich nach den Behauptungen einiger nach der Schweiz zurückgewandt hätte. Mehr bedurfte es nicht, um mich zu dem Entschlusse zu bringen, ihr zu folgen, indem ich völlig überzeugt war, daß ich sie, wo sie sich auch immer aufhalten möchte, in der Provinz leichter auffinden würde, als es mir in Paris möglich gewesen wäre.
Vor der Abreise übte ich noch mein neues poetisches Talent in einer Epistel an den Oberst Godard, in der ich ihn nach bestem Vermögen durchhechelte. Ich zeigte dieses Machwerk der Frau von Merveilleux, die mich nicht, wie sie hätte thun sollen, auszankte, sondern im Gegentheile über meinen bittern Spott recht herzlich lachte, eben so wie ihr Sohn, der, wie ich glaube, kein Freund des Herrn Godard war, und man muß gestehen, daß er keine freundschaftlichen Gefühle einflößen konnte. Ich war versucht, ihm das Erzeugnis meiner Muse zuzuschicken; sie ermuthigten mich dazu; ich machte also ein Packet, schrieb seine Adresse darauf, und da es damals noch keine Stadtpost in Paris gab, steckte ich es in die Tasche und sandte es ihm von Auxerre aus, welches ich auf meiner Rückreise berührte. Noch jetzt lache ich bisweilen, wenn ich an die Gesichter denke, welche er bei der Durchlesung dieses Lobgesanges, in dem er
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