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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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ohne Täuschung und Kränkung zu behandeln. Allein diese Kunst ließ sich weit mehr aus ihrem Charakter als aus ihren Lehren entnehmen; sie wußte sie besser praktisch auszuüben als auseinander zu setzen, und ich war unter allen Menschen der Welt am wenigsten geeignet, sie zu lernen. Auch war alles, was sie in dieser Hinsicht that, ziemlich verlorene Mühe, eben so wie die Verschwendung, die sie trieb, mir Tanz- und Fechtunterricht geben zu lassen. Obgleich schlank und gut gewachsen, lernte ich nie ein Menuet tanzen. Wegen meiner Hühneraugen hatte ich mich so daran gewöhnt, auf den Fersen zu gehen, daß es mir Roche nicht mehr abgewöhnen konnte, und trotz meines leichtfüßigen Aussehens bin ich nie im Stande gewesen, auch nur über einen mittelmäßigen Graben zu springen. Auf dem Fechtboden war es noch schlimmer. Nach einem dreimonatlichen Unterricht wurde ich, unfähig einen Ausfall zu machen, noch immer bis an die Wand gedrängt, und meine Faust war nie geschmeidig oder mein Arm kräftig genug, um den Stoßdegen festzuhalten, wenn sich mein Fechtlehrer das Vergnügen machen wollte, ihn mir aus der Hand zu schlagen. Dazu muß man noch in Anschlag bringen, daß ich eine tödtliche Abneigung gegen diese Waffenübung und den Lehrer hatte, der sich bemühte, mich darin zu unterweisen. Ich hätte mir nie eingebildet, daß man auf die Kunst, einen Menschen zu tödten, so stolz sein könnte. Um sein erhabenes Genie meiner Fassungskraft verständlich zu machen, drückte er sich nur in Vergleichen aus, die er der Musik, von der er nichts verstand, entlehnte. Er entdeckte zwischen den Terz- und Quartstößen und den musikalischen Intervallen gleichen Namens auffallende Aehnlichkeiten. Wollte er eine Finte machen, so forderte er mich auf, ich sollte mich vor den mit dem Kreuz versehenen Noten hüten, weil man diese vor Alters Finte nannte; hatte er mir den Stoßdegen aus der Hand geschlagen, so meinte er grinsend, das wäre eine Pause. Kurz, ich sah in meinem ganzen Leben keinen unerträglicheren Pedanten als diesen armen Menschen mit seinem Federbusch und seinem Brustleder.
    Ich machte also in diesen Uebungen, die ich aus reinem Abscheu dagegen bald aufgab, geringe Fortschritte; dagegen machte ich um so größere in einer nützlicheren Kunst, in der, mit meinem Loose zufrieden zu sein und mich nach keinem glänzenderen zu sehnen, für welches ich, wie ich einzusehen begann, nicht geboren war. Nur von dem Verlangen erfüllt, Mama das Leben glücklich zu machen, fühlte ich mich an ihrer Seite immer zufriedener, und wenn ich mich, um in die Stadt zu gehen, von ihr trennen mußte, begann ich trotz meiner Leidenschaft für die Musik den Zwang zu merken, der mit meinen Unterrichtsstunden verbunden war.
    Ich weiß nicht, ob Claude Anet die Vertraulichkeit unseres Verhältnisses wahrnahm. Ich habe Ursache anzunehmen, daß es ihm nicht verborgen blieb. Es war ein sehr scharfblickender, aber auch sehr verschwiegener Mann, der nur sprach, wie er dachte, aber seine Gedanken nicht immer enthüllte. Ohne zu thun, als ob er etwas wüßte, gab er doch durch sein Benehmen zu erkennen, daß er über unser Verhältnis nicht in Unkunde war, und dieses Benehmen war sicherlich nicht der Ausfluß einer gemeinen Denkungsweise, sondern seines Eingehens auf die Grundsätze seiner Herrin, deren getreue Durchführung er nicht mißbilligen konnte. Obgleich eben so jung wie sie, war er doch so gesetzt und ernst, daß er uns fast wie zwei der Nachsicht bedürftige Kinder betrachtete, und wir betrachteten ihn beide als einen Ehrfurcht einflößenden Mann, dessen Achtung wir uns zu bewahren hatten. Erst nach ihrer Untreue gegen ihn erkannte ich ganz die aufrichtige Liebe, mit der sie ihm zugethan war. Da sie wußte, daß ich nur durch sie dachte, empfand und athmete, zeigte sie mir, wie innig sie ihn liebte, damit ich ihn eben so lieben sollte, und sie hob hierbei weniger ihre Freundschaft für ihn als ihre Achtung hervor, weil dies das Gefühl war, welches ich am vollkommensten theilen konnte. Wie oft rührte sie unsere Herzen und verlangte unter Thränen, daß wir uns umarmten, indem sie uns versicherte, daß wir beide zum Glücke ihres Lebens nöthig wären! Mögen die Frauen, die dieses lesen werden, nicht hämisch lächeln. Bei ihrem Temperamente lag in diesem Bedürfnisse nichts Zweideutiges; es war lediglich das Bedürfnis ihres Herzens.
    Auf diese Weise entspann sich unter uns dreien ein geselliges Verhältnis, wie es vielleicht ohne Beispiel

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