Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
gestatten, die Augen einen Augenblick auf das zu richten, welches mich auf dem von der Natur vorgezeichneten Wege erwartet hätte, wenn ich in die Hände eines besseren Meisters gefallen wäre. Nichts stand mit meiner Gemüthsart mehr im Einklange und war geeigneter, mich glücklich zu machen, als der ruhige und niedrige Stand eines guten Handwerkers, besonders in gewissen Klassen, wie die eines Graveurs in Genf. Einträglich genug zur Führung eines sorgenfreien Lebens und doch nicht einträglich genug zur Ansammlung eines Vermögens, hätte dieser Stand meinem Ehrgeize einen hinreichenden Spielraum für den Rest meines Lebens gewährt und mich dadurch, daß er mir vollauf Zeit ließ, mich bescheidenen Neigungen hinzugeben, in meinem Kreise zurückgehalten, ohne nur ein Mittel darzubieten, aus ihm herauszutreten. Da meine Einbildungskraft reich genug war, um jedem Stande mit ihren Gebilden Reiz zu verleihen, und stark genug, um mich gleichsam nach Belieben von einem in den andern zu versetzen, so hätte mir wenig daran gelegen, in welchem ich mich in Wirklichkeit befand. Er hätte dem Orte, wo ich mir mein erstes Luftschloß erbaut hatte, nicht so fern sein können, daß es mir nicht leicht gewesen wäre, in ihm festen Fuß zu fassen. Daraus allein folgte, daß der einfachste Stand, der, welcher mit den wenigsten Plackereien und Sorgen verbunden war, welcher die meiste geistige Freiheit ließ, derjenige war, der sich für mich am besten eignete, und das war eben der meinige. Im Schooße meiner Religion, meines Vaterlandes, meiner Familie und meiner Freunde hätte ich ein friedliches und angenehmes Leben, wie es meinem Charakter ein Bedürfnis war, in der Einförmigkeit einer mir zusagenden Arbeit und einer meinem Herzen lieben Gesellschaft verbrachte. Ich wäre ein guter Christ, ein guter Bürger, ein guter Familienvater, ein guter Freund, ein guter Arbeiter, ein Mann in jeder Beziehung gewesen. Ich würde meinen Stand geliebt, ihm vielleicht Ehre gemacht haben, und nach einem geringen und einfachen, aber gleichmäßigen und angenehmen Leben friedlich im Schooße der Meinigen gestorben sein. Unzweifelhaft bald vergessen, würde ich doch wenigstens so lange, wie man sich meiner erinnert hätte, betrauert worden sein.
    Statt dessen ... Welches Bild muß ich entwerfen! Ach, wir wollen das Elend meines Lebens nicht im Voraus berühren; ich werde meine Leser mit diesem traurigen Stoffe nur allzu viel beschäftigen.

Zweites Buch.
1728 – 1731
    So traurig mir der Augenblick, in welchem mir die Angst den Gedanken an die Flucht eingab, vorgekommen war, in so bezauberndem Lichte erschien mir der, in welchem ich ihn zur Ausführung brachte. Noch im Kindesalter meine Heimat, meine Verwandten, meine Stützen, meine Hilfsmittel verlassen; aus einer nur halbvollendeten Lehrzeit treten, ohne die genügende Fertigkeit in meinem Handwerke zu besitzen, um davon leben zu können; mich den Schrecken des Elendes aussetzen, ohne ein Mittel zu haben, mich daraus emporzuarbeiten; mich im Alter der Schwachheit und der Unschuld allen Versuchungen des Lasters und der Verzweiflung preisgeben; in fernen Landen Leiden, Verirrungen, Fallstricke, Sklaverei und Tod aufsuchen, mir ein Joch aufladen, das weit schwerer abzuschütteln war als das, welches ich nicht hatte aushalten können: das war es, was ich zu thun im Begriff stand, das war die Aussicht, die ich hätte ins Auge fassen sollen. Wie verschieden davon war die, welche ich mir ausmalte! Die Unabhängigkeit, die ich gewonnen zu haben wähnte, war das einzige Gefühl, welches mich erfüllte. Frei und Herr meiner selbst, glaubte ich alles thun, alles erreichen zu können; ich brauchte nur meine Kraft zu entfalten, um mich emporzuschwingen und in den Lüften zu fliegen. Sorglos trat ich in die weite Welt; meine Talente mußten sich in ihr Geltung verschaffen: auf jedem Schritte mußte ich Feste, Schätze, Abenteuer, dienstwillige Freunde, um meine Gunst buhlende Geliebte finden; wenn ich mich nur zeigte, mußte ich das Weltall mit mir beschäftigen; wenn auch nicht das ganze; ich überhob es gewissermaßen desselben, so viel hatte ich nicht nöthig; eine reizende Gesellschaft genügte mir, und um den Rest kümmerte ich mich nicht. In richtiger Maßhaltung beschränkte ich mich auf einen zwar engen, aber trefflich gewählten Kreis, in dem ich sicher war zu herrschen. Ein einziges Schloß war für meinen Ehrgeiz genügend, als Günstling des Herrn und der Herrin, als Geliebter des

Weitere Kostenlose Bücher