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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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hängend, da ich rings um mich her nichts sah, das für mich gleichen Werth gehabt hätte. Des Sonntags holten mich meine Kameraden nach der Predigt zum Spielen ab. Ich wäre ihnen gern entschlüpft, wäre ich es im Stande gewesen; waren ihre Spiele jedoch einmal im Zuge, so war ich aufgelegter und ging weiter als irgend ein anderer; eben so schwer in Bewegung zu bringen als zurückzuhalten. Das war immerdar meine Natur. Bei unseren Spaziergängen außerhalb der Stadt ging ich immer vorwärts, ohne an die Umkehr zu denken, falls nicht Andere anstatt meiner daran dachten. Zweimal wurde ich dabei betreten. Die Thore waren bei meiner Heimkunft geschlossen. Man kann sich denken, wie ich am folgenden Tage behandelt wurde; und beim zweiten Male wurde mir für das dritte Mal ein solcher Empfang in Aussicht gestellt, daß ich entschlossen war, mich ihm nicht auszusetzen. Dieses so gefürchtete dritte Mal fand dennoch statt. Durch einen verwünschten Capitain, Namens Minutoli, der das Thor, an welchem er die Wache hatte, regelmäßig eine halbe Stunde vor den andern schloß, wurde meine Vorsicht vereitelt. Ich war mit zwei Kameraden auf dem Heimwege. Eine halbe Stunde von der Stadt höre ich Retraite blasen, ich verdopple den Schritt; ich höre trommeln, ich laufe aus Leibeskräften; athemlos und in Schweiß gebadet lange ich an, das Herz klopft mir, schon aus der Ferne sehe ich die Soldaten auf ihren Posten; ich eile herbei, ich schreie mit erstickter Stimme. Es war zu spät. Zwanzig Schritt von der Außenwache entfernt, sehe ich die erste Zugbrücke sich heben. Zittern ergreift mich, als ich sehe, wie sich diese schrecklichen Hörner, das Unheil verkündende und verhängnisvolle Anzeichen des meiner wartenden unvermeidlichen Schicksales, in die Luft erheben.
    In dem ersten Schmerzensausbruche warf ich mich auf das Glacis und biß in die Erde. Meine Kameraden, die über ihr Unglück nur lachten, faßten augenblicklich ihren Entschluß. Ich faßte auch den meinigen; aber dieser fiel anders aus. An Ort und Stelle schwur ich, nie zu meinem Meister zurückzukehren; und als sie am folgenden Morgen nach Oeffnung des Thores in die Stadt zurückgingen, sagte ich ihnen auf immer Lebewohl und bat sie nur, meinen Vetter Bernard im Geheimen meinen gefaßten Entschluß, so wie den Ort, wo er mich noch einmal sehen könnte, mitzutheilen.
    Seit meinem Eintritt in die Lehre, durch welchen ich von ihm mehr getrennt wurde, hatte ich ihn seltener gesehen; trotzdem hatten wir uns einige Zeit lang des Sonntags getroffen; aber nach und nach hatte jeder andere Gewohnheiten angenommen, und wir sahen uns seltener. Ich bin überzeugt, daß seine Mutter viel zu dieser Veränderung beitrug. Er seinerseits war ein Kind der Hochstadt, des vornehmen Stadtviertels; ich dagegen, ein unbedeutender Lehrbursche, war nichts weiter als ein Kind des Armenviertels St. Gervais. Wir standen trotz unserer Abstammung nicht mehr auf gleicher Stufe; mit mir verkehren hieß sich verunehren. Dennoch hörte das freundschaftliche Verhältnis zwischen uns nicht völlig auf, und da er ein gutmüthiger Knabe war, so folgte er trotz der Warnungen seiner Mutter bisweilen seinem Herzen. Von meinem Entschluß in Kenntnis gesetzt, eilte er herbei, nicht um mir davon abzurathen oder ihn zu billigen, sondern um mir meine Flucht durch kleine Geschenke weniger beschwerlich zu machen, denn mit meinen eigenen Mitteln konnte ich nicht weit gelangen. Unter anderem schenkte er mir einen kleinen Degen, über den ich sehr entzückt gewesen war, und den ich bis Turin getragen habe, wo ich ihn aus Noth verkaufte, und wo er mir, wie man zu sagen pflegt, den Leib durchbohrte. Je mehr ich später über die Weise, wie er sich in diesem entscheidenden Augenblicke mir gegenüber betrug, nachgedacht habe, desto mehr bin ich zu der Ueberzeugung gekommen, daß er dabei den Anweisungen seiner Mutter, vielleicht auch seines Vaters, folgte; denn sicherlich hätte er, handelte er nach seinem eigenen Herzen, sich bemüht, mich zurückzuhalten, oder wäre versucht gewesen, mir zu folgen. Aber nichts dergleichen geschah. Er ermuthigte mich eher zu meinem Vorhaben, als daß er es mir auszureden suchte; als er mich dann ganz fest entschlossen sah, schied er ohne viel Thränen von mir. Wir haben uns nie geschrieben und uns nie wieder gesehen. Es ist schade: er hatte in der That einen guten Charakter; wir waren geschaffen, uns zu lieben.
    Ehe ich auf das Verhängnis meines Schicksals eingehe, möge man mir

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