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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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mir eine davon anführte, entgegnete ich ihm, ohne mich auf Erörterung des Citats einzulassen, mit einer anderen aus demselben Vater, was ihn oft in große Verlegenheit setzte. Schließlich blieb der Sieg doch auf seiner Seite und zwar aus zwei Gründen. Der eine war, daß er doch eine höhere Bildung besaß und ich, in dem Gefühle, mich in seiner Gewalt zu befinden, trotz meiner Jugend recht gut einsah, daß ich ihn nicht zum Aeußersten treiben durfte, denn ich erkannte deutlich genug, daß der alte kleine Priester weder für meine Gelehrsamkeit noch für meine Person sehr eingenommen war? Dazu trat noch der andere Grund, daß er gut geschult war und ich nicht. In Folge dessen brachte er in seine Art der Beweisführung eine Methode, der ich mich ebenfalls zu bedienen außer Stande war, und verschob die Erörterung jedes unvorhergesehenen Einwandes, von dem er sich bedrängt fühlte, auf den nächsten Tag, indem er vorschützte, daß ich von dem Gegenstande abschweifte. Er verwarf sogar mitunter alle meine Citate mit der Behauptung, daß sie falsch wären, und sich erbietend, mir das Buch zu holen, forderte er mich auf, sie darin aufzusuchen. Er wußte, daß er dabei keine große Gefahr lief, und daß ich bei all meiner Gelehrsamkeit doch in der richtigen Benutzung der Bücher zu wenig geübt und ein zu schlechter Lateiner war, um in einem dickleibigen Bande eine Stelle zu finden, auch wenn ich mit Bestimmtheit gewußt hätte, daß sie darin stände. Ich habe ihn sogar in Verdacht, daß er sich dieselbe Unredlichkeit zu Schulden kommen ließ, deren er die Prediger zieh, und dann und wann Stellen ersann, um mit ihnen einen ihm unbequemen Einwurf zu widerlegen.
    Während der Zeit, in der ich mich mit diesen Sophistereien beschäftigte und die Tage mit Disputationen, mit dem Hersagen langer Gebete und der Verübung von allerlei losen Streichen hinbrachte, hatte ich ein garstiges und ungemein widerliches Abenteuer zu bestehen, das einen gar bösen Ausgang für mich hätte nehmen können.
    Es giebt keine so gemeine Seele und kein so rohes Herz, das nicht irgend einer Art Liebe fähig wäre. Der eine dieser beiden Banditen, die sich für Mauren ausgaben, schenkte mir seine Zuneigung. Er redete mich gern an, plauderte mit mir in seinem barbarischen Kauderwälsch, erwies mir kleine Gefälligkeiten, gab mir bei Tische bisweilen einen Theil seines Essens ab und küßte mich besonders beständig mit einer Glut, die mich höchst unangenehm berührte. Welchen Schrecken ich auch natürlich über dieses pfefferkuchenartige und von einem langen Hiebe zerfetzte Gesicht, sowie über die funkelnden Blicke empfand, die eher wüthend als zärtlich zu sein schienen, so duldete ich diese Küsse doch, indem ich zu mir selber sagte: Der arme Mann hat eine sehr lebhafte Freundschaft für mich gefaßt; ich würde Unrecht thun, sie zurückzuweisen. Er ging allmählich zu freieren Manieren über und hielt mir mitunter so seltsame Reden, daß ich glaubte, es wäre nicht ganz richtig mit ihm. Eines Abends wollte er durchaus bei mir schlafen; ich lehnte es unter dem Vorwande ab, daß mein Bett zu klein wäre. Nun forderte er mich dringend auf, das seinige zu theilen; auch dagegen sträubte ich mich, denn dieser elende Wicht war so unsauber und roch so widerlich nach Kautabak, daß mir Übel wurde.
    Am folgenden Morgen waren wir beide ziemlich früh allein in dem Versammlungssaale; er begann von neuem seine Liebkosungen, aber mit so heftigen Bewegungen, daß es wahrhaft entsetzlich war. Endlich wollte er stufenweise zu den anstößigsten Vertraulichkeiten übergehen und mich zwingen, indem er meine Hand leitete, ebenso zu handeln. Ich riß mich ungestüm los, indem ich einen Schrei ausstieß und einen Schritt zurücksprang; und ohne ihm Unwillen oder Zorn zu bezeigen, da ich keine Ahnung von dem hatte, um was es sich eigentlich handelte, drückte ich ihm meine Ueberraschung und meinen Ekel so unzweideutig und entschieden aus, daß er mich losließ; aber während er sich vollends abarbeitete, sah ich etwas eigenthümlich Klebriges und Weißliches auf die Erde fallen, dessen Anblick mir Uebelkeit erregte. Erregter, verwirrter, ja sogar erschrockener, als ich je in meinem Leben gewesen war, stürzte ich auf den Balkon hinaus und war nahe daran ohnmächtig zu werden.
    Ich konnte nicht begreifen, was mit diesem Unglücklichen vorging; ich glaubte ihn von der Epilepsie oder von einer andern noch schrecklicheren Raserei befallen, und ich kann mir

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