Rousseau's Bekenntnisse
sein würde, meine Talente und Vorzüge Zutritt verschaffen mußten. Ueberdies fehlte es mir nicht an Zeit, es abzuwarten, und meine zwanzig Francs in der Tasche schienen mir ein unerschöpflicher Schatz zu sein. Ich konnte nach meinem Gutdünken darüber verfügen, ohne jemand Rechenschaft darüber abzulegen. Zum ersten Male hatte ich mich so reich gesehen. Weit davon entfernt, mich der Muthlosigkeit zu überlassen und in Thränen auszubrechen, mußten sich meine Hoffnungen nur einen Wechsel gefallen lassen, und meine Eigenliebe verlor dabei nichts. Nie fühlte ich so viel Vertrauen und Zuversicht; ich wähnte mein Glück schon gemacht und fand es schön, es nur mir selbst zu verdanken.
Das Erste, was ich that, war, meine Neugier zu befriedigen, indem ich die ganze Stadt durchstreifte, wäre es auch nur gewesen, um mich meiner Freiheit zu vergewissern. Ich ging, die Wache aufziehen zu sehen; die Militärmusik gefiel mir sehr gut. Ich ging hinter Processionen her; der unharmonische Gesang der Priester machte mir Spaß. Ich sah mir das königliche Schloß an; ich näherte mich ihm furchtsam; als ich jedoch andere Leute eintreten sah, folgte ich ihrem Beispiele und man ließ mich gewähren. Vielleicht verdankte ich diese Gunst dem kleinen Packet, welches ich unter dem Arme trug. Wie dem auch sein möge, ich faßte, als ich mich in diesem Schlosse sah, eine hohe Meinung von mir selbst; schon betrachtete ich mich fast wie einen Bewohner desselben. Endlich wurde ich von dem vielen Gehen und Laufen müde; ich empfand Hunger, und es war heiß. Deshalb trat ich in den Laden eines Milchhändlers ein; man gab mir Giunca, geronnene Milch, und mit zwei Stöllchen jenes vortrefflichen piemontesischen Brotes, das ich jedem anderen vorziehe, hielt ich für meine fünf oder sechs Sous eine der besten Mahlzeiten, die ich je in meinem Leben gehalten habe.
Ich mußte mich nach einem Nachtlager umsehen. Da ich das Piemontesische schon gut genug verstand, um mich verständlich zu machen, fiel es mir nicht schwer eines zu finden, und ich war so klug, mich bei der Wahl mehr nach meiner Börse als nach meinem Geschmacke zu richten. Man wies mich in der Po-Straße zu der Frau eines Soldaten, die Dienstboten, welche außer Dienst waren, für einen Sou Nachtherberge gewährte. Ich fand bei ihr eine Schlafstelle unbesetzt und nahm sie in Beschlag. Sie war jung und erst vor kurzem verheirathet, obgleich sie bereits fünf oder sechs Kinder hatte. Wir schliefen alle in demselben Zimmer, die Mutter, die Kinder, die Gäste, und das dauerte, so lange ich bei ihr blieb, in gleicher Weise fort. Uebrigens war es eine gutmüthige Frau, die zwar wie ein Fuhrmann fluchte, sowie beständig liederlich gekleidet und ungekämmt, aber gefällig und dienstfertig war. Sie bewies sich gegen mich besonders freundschaftlich und war mir sogar nützlich.
Mehrere Tage überließ ich mich einzig und allein dem Vergnügen der Unabhängigkeit und der Befriedigung meiner Neugier. Ich durchstreifte das Innere der Stadt wie ihre Umgebungen, indem ich alles durchstöberte und in Augenschein nahm, was mir neu und merkwürdig vorkam, und das war alles für einen jungen Menschen, der erst aus seinen vier Pfählen hervorkam und nie eine Hauptstadt gesehen hatte. Ich ließ es mir namentlich sehr angelegen sein, an den Hof zu gehen und wohnte der Messe des Königs regelmäßig alle Morgen bei. Ich fand es schön, mich mit diesem Fürsten und seinem Gefolge in der nämlichen Kapelle zu wissen; allein an meiner beständigen Anwesenheit während des Gottesdienstes hatte meine Leidenschaft für die Musik, die sich zu zeigen begann, doch mehr Antheil als das Gepränge des Hofes, welches bei öfterem Anblicke nicht lange zu fesseln vermag. Der König von Sardinien hatte damals die beste Kapelle in Europa. Somis, Desjardins, die Bezuzzi glänzten darin neben einander. Es hätte nicht so viel bedurft, um einen jungen Mann anzuziehen, den das Spiel des geringsten Instrumentes, falls es nur richtig war, augenblicklich in Entzücken versetzte. Uebrigens zollte ich der Pracht, die sich meinen Blicken darbot, nur eine neidlose Bewunderung. Für mich war bei all dem Glanze des Hofes das Einzige von Wichtigkeit, zu sehen, ob sich an ihm nicht eine junge Prinzessin befände, welche meine Huldigung verdiente und mit der ich einen Roman anspinnen könnte.
Beinahe hätte ich einen solchen in einem weniger glänzenden Kreise angeknüpft, bei dem ich jedoch, hätte ich ihn zu Ende geführt,
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