Rousseau's Bekenntnisse
gräßlichen Götzendienst darstellte und dessen Geistlichkeit man uns mit den schwärzesten Farben malte. Dieses Gefühl ging bei mir so weit, daß ich anfangs nie einen Blick in das Innere einer Kirche warf, nie einem Priester im Chorhemde begegnete, nie die Schelle einer Procession vernahm ohne einen Schauder von Schrecken und Entsetzen, der mich in den Städten zwar bald verließ, aber in den Landkirchen, die denen, wo ich ihn zuerst empfunden hatte, ähnlicher sind, oft wieder ergriff. Allerdings stand dieser Eindruck in einem eigenthümlichen Contraste mit der Erinnerung an die Freundlichkeiten, welche die Pfarrer der Umgegend von Genf gern den Stadtkindern erweisen. Während mich die Schelle bei der letzten Oelung mit Furcht erfüllte, erinnerte mich die Meß- und Vesperglocke an ein Frühstück, an ein Vesperbrot, an frische Butter, Obst- und Milchspeisen. Das gute Mittagsmahl des Herrn von Pontverre hatte seine große Wirkung noch immer nicht verloren. So hatte ich mir dies alles leicht aus dem Sinne geschlagen. Da ich mir den Papismus nur immer in Verbindung mit Lustbarkeiten und Tafelfreuden vorstellte, so hatte ich mich zwar mit dem Gedanken, in ihm zu leben, leicht vertraut gemacht, allein an einen feierlichen Uebertritt hatte ich nur flüchtig gedacht, als läge er noch in weiter Ferne. In diesem Augenblicke gab es kein Mittel mehr eine Aenderung herbeizuführen; mit Schauder erkannte ich die feste Form der Zusage, die ich gegeben hatte, und die unvermeidliche Folge davon. Die künftigen Neophyten, die ich um mich hatte, waren unfähig, meinen Muth durch ihr Beispiel aufrecht zu erhalten, und ich konnte mir nicht verhehlen, daß die heilige Handlung, welche ich vorzunehmen beabsichtigte, im Grunde nur die Handlung eines Tiefgesunkenen wäre. So jung ich auch noch war, fühlte ich doch, daß ich, welche Religion auch die wahre sein mochte, auf dem Wege war, die meinige zu verkaufen und selbst bei richtiger Wahl den heiligen Geist zu belügen und die Verachtung der Menschen zu verdienen. Je mehr ich daran dachte, desto ingrimmiger wurde ich gegen mich selbst, und ich seufzte über das Loos, das mich dahin getrieben hatte, als wäre dieses Loos nicht mein eigenes Werk gewesen. Es gab Zeiten, in welchen mich diese Betrachtungen so überwältigten, daß, hätte ich das Thor nur einen Augenblick offen gefunden, ich sicherlich davon gelaufen wäre; allein es war mir nicht möglich, und dieser Entschluß war in mir auch noch nicht fest genug geworden.
Zuviel geheime Wünsche bekämpften ihn, um nicht den Sieg über ihn davon zu tragen. Dazu kam noch die Festigkeit meines Vorsatzes, nicht nach Genf zurückzukehren, die Scham, ja selbst die Schwierigkeit, über das Gebirge zurückzureisen, die Verlegenheit, mich fern von meiner Heimat ohne Freunde und Geld zu sehen: das alles vereinigte sich, mich meine Gewissensbisse als eine zu späte Reue betrachten zu lassen. Um das, was ich zu thun vorhatte, zu entschuldigen, gab ich mir das Ansehen, mir das, was ich gethan, vorzuwerfen. Dadurch, daß ich die Fehler der Vergangenheit vergrößerte, meinte ich, was mir jetzt bevorstand, als eine nothwendige Folge betrachten zu können. Ich sagte mir nicht: noch ist nichts geschehen, und du kannst, wenn du willst, unschuldig bleiben, sondern ich sagte mir: beseufze das Vergehen, dessen du dich schuldig gemacht hast, und das du notgedrungen zu Ende führen mußt.
Und in der That, welche seltene Seelenstärke hätte ich nicht in meinem Alter haben müssen, um alles zurückzunehmen, was ich bis dahin etwa versprochen oder hatte hoffen lassen, um die Ketten zu brechen, in die ich mich selbst geschlagen hatte; um unerschrocken zu erklären, daß ich allem, was daraus entstehen könnte, zum Trotz, in der Religion meiner Väter bleiben wollte? Diese Stärke pflegt jungen Leuten in meinem Alter nicht eigen zu sein und sie hatte auch schwerlich einen glücklichen Erfolg gehabt. Die Angelegenheit war bereits zu weit vorgeschritten, um sie jetzt noch ungestraft rückgängig machen zu können, und je größer mein Widerstand gewesen wäre, desto mehr würde man es sich zum Gesetz gemacht haben, ihn auf die eine oder die andere Weise zu überwinden.
Der Sophismus, welcher mich zu Grunde richtete, ist den meisten Menschen eigen, die immer darüber klagen, daß es ihnen an Kraft fehle, wenn es schon zu spät ist, dieselbe anzuwenden. Die rechtzeitige Anspannung unserer Kraft fällt uns nur durch eigene Schuld schwer, und wenn wir immer
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