Rousseau's Bekenntnisse
Unterfangen hat sagen können; allein es kam mir vor, als ob ihn mit Ausnahme der Frau Lorenza niemand unfreundlicher anblickte als sonst. Indessen ging er mir aus dem Wege und redete nicht mehr mit mir. Acht Tage darauf wurde er mit großer Feierlichkeit getauft, wobei er, um die Reinheit seiner wiedergeborenen Seele darzuthun, von Kopf bis den Füßen in Weiß gekleidet war. Den nächsten Tag verließ er das Hospiz, und ich habe ihn nie wieder gesehen.
Einen Monat später kam die Reihe an mich, denn so lange Zeit bedurfte es, ehe sich meine Beichtväter die Ehre einer schwierigen Bekehrung beizulegen wagten, und man ließ mich alle Glaubenssätze hersagen, um mit meiner neuen Gelehrigkeit zu prunken.
Endlich genügend unterrichtet und nach dem Sinne meiner Lehrer auch geistig genügend vorbereitet, wurde ich in Procession in die Metropolitankirche zum heiligen Johannes geführt, um darin meinen alten Glauben feierlich abzuschwören und die Bestätigung der Taufe zu empfangen, obwohl man mich nicht wirklich taufte; da aber dabei fast die nämlichen Förmlichkeiten stattfinden, so dient das dazu, dem Volke die Ueberzeugung aufzudrängen, daß die Protestanten keine Christen seien. Ich war mit einem grauen, mit weißen Schnüren besetzten Rocke bekleidet, wie er bei derartigen Gelegenheiten üblich war. Vor und hinter mir trugen zwei Männer kupferne Becken, auf welche sie mit einem Metallstäbchen schlugen und in die jeder je nach seiner Frömmigkeit oder nach der Teilnahme, die er für den Neubekehrten hegte, sein Almosen warf. Kurz, nichts von dem Gepränge des Katholicismus wurde unterlassen, um die Feierlichkeit für das Publikum erbaulicher und für mich demüthigender zu machen. Nur das weiße Gewand, das mir sehr nützlich gewesen, gewährte man mir nicht wie jenem Mauren, da ich nicht die Ehre hatte ein Jude zu sein.
Das war nicht alles. Nachher mußte ich noch zur Inquisition gehen, um die Absolution für das Verbrechen der Ketzerei zu empfangen und mit derselben Ceremonie, welcher sich Heinrich IV. in der Person seines Gesandten hatte unterziehen müssen, in den Schoos der Kirche zurückzukehren. Die Miene und das Benehmen des hochwürdigen Pater Inquisitors waren nicht geeignet, den geheimen Schrecken, der mich beim Eintritt in dieses Haus ergriffen hatte, zu verscheuchen. Nach mehreren Fragen über meinen Glauben, meine Lage, meine Familie fragte er mich plötzlich, ob meine Mutter verdammt wäre. Der Schrecken ließ mich die erste Erregung meines Unwillens unterdrücken; ich beschränkte mich darauf zu antworten, daß ich hoffen wollte, sie wäre es nicht, und daß Gott sie noch in ihrer letzten Stunde hätte erleuchten können. Der Mönch schwieg, schnitt aber ein Gesicht, das mir durchaus nicht wie ein Zeichen seines Einverständnisses vorkam.
Nachdem ich dies alles durchgemacht hatte und wähnte, endlich ein meinen Hoffnungen entsprechendes Unterkommen zu erhalten, setzte man mich mit wenig mehr als zwanzig Francs in kleiner Münze, welche die für mich veranstaltete Collecte eingebracht hatte, vor die Thür. Man empfahl mir, ein echt christliches Leben zu führen und der Gnade treu zu bleiben, wünschte mir alles Gute, schloß die Thür hinter mir, und alles war vorüber.
So verschwanden in einem Augenblicke alle meine großen Hoffnungen, und von dem eigennützigen Schritte, den ich so eben gethan hatte, blieb mir nichts als der quälende Gedanke zurück, ein Abtrünniger und zugleich ein Betrogener zu sein. Man kann sich leicht vorstellen, welch schneller Umschwung in meinen Gedanken eintreten mußte, als ich mich aus meinen glänzenden Glücksplänen in das vollständigste Elend hinabsinken und mich am Abende, nachdem ich des Morgens über die Wahl des Palastes nachgedacht hatte, den ich bewohnen wollte, gezwungen sah, auf der Straße zu schlafen. Man wird sich einbilden, daß ich mich zunächst einer um so bitterern Verzweiflung überließ, je heftiger die Reue über meine Verirrungen dadurch werden mußte, daß ich nur mir selbst die Schuld an meinem ganzen Unglück zuschreiben konnte. Nichts von dem allem. Zum ersten Male in meinem Leben war ich länger als zwei Monate eingesperrt gewesen. Das erste Gefühl, das ich empfand, war Freude über meine wiedergewonnene Freiheit. Nach einer langen Sklaverei wieder Herr meiner selbst und meiner Handlungen geworden, erblickte ich mich inmitten einer großen Stadt voll reicher Hilfsquellen und vornehmer Leute, zu denen mir, sobald ich erst bekannt
Weitere Kostenlose Bücher