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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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über dem Kamin befand sich ein Spiegel, der mein Verräther wurde. Ich weiß nicht, welche Wirkung diese leidenschaftliche Aufwallung auf sie ausübte; sie blickte mich nicht an und sprach nicht mit mir; aber mit halb umgewandtem Kopfe wies sie mir mit einer einfachen Bewegung des Fingers die Matte zu ihren Füßen. Erbeben, aufschreien, nach dem Platze stürzen, den sie mir gezeigt hatte, war für mich eins; was man jedoch kaum glauben wird, ist, daß ich unter diesen Umständen nicht das Herz hatte, mehr zu wagen, nicht so viel Muth besaß, ein einziges Wort zu sagen, die Augen zu ihr zu erheben, ja sie in meiner gezwungenen Stellung auch nur anzurühren, um mich einen Augenblick auf ihre Knie zu stützen. Ich war stumm, regungslos, aber sicherlich nicht ruhig. Alles in mir gab die Aufregung, die Freude, die Dankbarkeit, das glühende, wenn auch seines Zieles sich unklare Verlangen zu erkennen, welches mir durch die Furcht zu mißfallen, über die mein junges Herz sich nicht beruhigen konnte, zurückgehalten wurde.
    Sie schien nicht ruhiger und nicht weniger schüchtern als ich. Beängstigt, mich zu ihren Füßen zu sehen, bestürzt, mich herbeigezogen zu haben, und allmählich die Folgen des mir ohne Zweifel unüberlegt gegebenen Winkes erkennend, hob sie mich weder empor noch stieß sie mich zurück; sie schlug die Augen nicht von ihrer Arbeit auf und stellte sich, als hätte sie mich nicht zu ihren Füßen gesehen. Allein trotz meiner Einfalt glaubte ich doch schließen zu dürfen, daß sie meine Verlegenheit, vielleicht sogar mein Verlangen theilte, und durch ein gleiches Schamgefühl wie ich zurückgehalten wurde, ohne das mich diese Wahrnehmung ermuthigt hätte, das ihrige zu besiegen. Fünf oder sechs Jahre, die sie mehr zählte als ich, mußten ihr meines Erachtens mehr Kühnheit verleihen, als ich hatte, und da sie nichts that, die meinige zu erwecken, so sagte ich mir, daß sie mich nicht kühn zu sehen wünschte. Selbst noch heutigen Tages bin ich überzeugt, daß ich richtig urtheilte, und sicherlich besaß sie zu viel Klugheit, um nicht einzusehen, daß ein Neuling wie ich, nicht allein der Ermuthigung, sondern auch der Anleitung bedurfte.
    Ich weiß nicht, wie dieser lebhafte und doch stumme Auftritt geendet, und wie lange ich noch regungslos in dieser lächerlichen und lieblichen Stellung ausgehalten hätte, wäre nicht eine Unterbrechung eingetreten. Als meine Aufregung ihren Höhepunkt erreicht hatte, hörte ich die Thüre zur Küche, welche an das Zimmer grenzte, in welchem wir uns befanden, sich öffnen, und von Angst ergriffen, die sich in ihren Worten und Bewegungen verrieth, sagte Frau Basile zu mir: »Stehen Sie auf, Rosine ist da.« Während ich mich schnell erhob, ergriff ich die Hand, die sie mir reichte, und drückte zwei brennend heiße Küsse darauf; bei dem zweiten fühlte ich die reizende Hand sich ein wenig gegen meine Lippen drücken. In meinem ganzen Leben hatte ich keinen so süßen Augenblick; aber die Gelegenheit, die ich verloren hatte, kehrte nicht wieder, und unsere junge Liebe machte hierbei Halt.
    Vielleicht gerade aus diesem Grunde hat sich das Bild dieser liebenswürdigen Frau in so reizenden Zügen auf dem Grunde meines Herzens erhalten. Es hat sogar in dem Maße, wie ich die Welt und die Frauen besser kennen gelernt habe, an Schönheit gewonnen. Bei größerer Erfahrung würde sie sich anders dabei benommen haben, einen Knaben zu ermuthigen; aber war ihr Herz schwach, so war es doch keusch. Sie gab unwillkürlich dem Triebe nach, der sie mit fortriß. Allem Anscheine nach war es ihre erste Untreue, und ich hätte vielleicht mehr Mühe gehabt, ihre Scham zu überwinden als die meinige. Ohne dahin gelangt zu sein, habe ich bei ihr unaussprechliche Wonne empfunden. Kein Genuß, den mir der Besitz von Frauen bereitet hat, kann sich mit dem seligen Gefühle in den zwei Minuten vergleichen, die ich zu ihren Füßen zugebracht habe, ohne auch nur zu wagen, ihr Kleid zu berühren. Nein, kein Glück ist dem gleich, welches eine sittsame Frau, die man liebt, gewähren kann; bei ihr wird alles zur Gunst. Ein kleiner Wink mit dem Finger, eine leicht gegen meinen Mund gedrückte Hand sind die einzigen Gunstbezeigungen, die ich je von Frau Basile erhielt, und die Erinnerung an diese geringfügigen Liebeszeichen entzückt mich noch, so oft ich daran denke.
    An den zwei folgenden Tagen wartete ich vergebens auf eine neue Zusammenkunft unter vier Augen; es war mir unmöglich, den

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