Rousseau's Bekenntnisse
kann, näher einzugehen, will ich deshalb nur sagen, daß seine weisen, wenn auch anfänglich wirkungslosen Lehren, in meinem Herzen zu einem Keime von Tugend und Religion wurden, der nie darin erstickte, und der, um Frucht zu bringen, nur auf die Pflege einer geliebteren Hand wartete.
Obgleich meine Bekehrung damals kaum eine wahre genannt werden kann, fühlte ich mich immerhin bewegt. Weit entfernt, mich bei seinen Gesprächen zu langweilen, fand ich vielmehr wegen ihrer Klarheit, ihrer Einfachheit und vor allem wegen einer gewissen Herzenswärme, welche, wie ich fühlte, durch sie hindurchwehte, Gefallen an ihnen. Ich habe eine liebevolle Seele und habe mich den Menschen stets weniger nach Maßgabe des mir erwiesenen Guten als des mir an den Tag gelegten Wohlwollens angeschlossen, und darüber hat sich mein Gefühl selten getäuscht. Auch gewann ich Herrn Gaime in Wahrheit lieb; ich war gleichsam sein zweiter Schüler, und für den Augenblick gewährte mir dies den unschätzbaren Vortheil, daß es den Hang zu jenem Laster, zu welchem mein Müßiggang mich zog, in mir unterdrückte.
Eines Tages, als ich an nichts weniger dachte, ließ mich der Graf de la Rocca zu sich rufen. Die vielen fruchtlosen Gänge zu ihm, bei denen es mir nie gelungen war, ihn zu sprechen, hatten mich verdrossen, und ich hatte sie eingestellt. Ich glaubte, er hätte mich vergessen, oder es wären ihm unangenehme Eindrücke von mir geblieben. Ich irrte mich. Mehr als einmal war er Zeuge der hingebenden Liebe gewesen, mit der ich meine Pflicht bei seiner Tante erfüllt hatte; er hatte sie sogar darauf aufmerksam gemacht und redete mit mir abermals davon, als ich selbst nicht mehr daran dachte. Er empfing mich freundlich, theilte mir mit, er hätte, ohne mich mit leeren Versprechungen hinzuhalten, ein Unterkommen für mich gesucht; es wäre ihm gelungen, er hätte mir nun den Weg gebahnt, etwas zu werden, das Uebrige wäre meine Sache; das Haus, in welches er mir Eintritt verschafft, wäre mächtig und angesehen, ich bedürfte keines anderen Beschützers, um meine Zukunft zu sichern; würde man mich auch anfänglich als einfachen Diener behandeln, wie ich gewesen wäre, so könnte ich doch versichert sein, daß man, falls man sich überzeugte, meine Gesinnungen wie meine Aufführung erhöben mich über diesen Stand, geneigt wäre, mich nicht in demselben zu lassen. Der Schluß dieser Rede stand mit den glänzenden Hoffnungen, welche der Anfang in mir erweckt hatte, in grausamem Widerspruche. Was! Immer Diener? sagte ich mit einem bittern Unwillen, den die Zuversicht jedoch bald wieder verwischte, zu mir selber. Ich fühlte mich zu wenig für eine solche Stellung geschaffen, um zu besorgen, daß man mich darin lassen würde. Er führte mich zu dem Grafen von Gouvon, Oberstallmeister der Königin und Haupt des erlauchten Hauses Solar. Das würdevolle Aeußere dieses ehrwürdigen Greises machte mir die Leutseligkeit seiner Aufnahme nur um so rührender. Er fragte mich mit Theilnahme nach meinen Verhältnissen, und ich antwortete ihm mit Aufrichtigkeit. Er sagte zu dem Grafen della Rocca, ich hätte ein freundliches Gesicht, welches zugleich auf Geist schließen ließe; es schiene mir in der That nicht daran zu fehlen, allein man müßte auch das Uebrige nicht außer Acht lassen. Darauf wandte er sich wieder zu mir und sagte: »Mein Kind, der Anfang ist fast in allen Dingen schwer; der Anfang deiner Stellung wird es jedoch nicht in sehr hohem Grade sein. Sei klug und strebe hier jedem zu gefallen, das ist für den Augenblick deine einzige Aufgabe. Sei übrigens guten Muthes; man wird für dich sorgen.« Unmittelbar darauf führte er mich zur Marquise von Breil, seiner Schwiegertochter, und stellte mich ihr vor, alsdann dem Abbé von Gouvon, seinem Sohne. Ich hatte bereits Erfahrung genug, um mir sagen zu können, daß man bei der Annahme eines Dieners nicht so viele Umstände mache. In Wirklichkeit behandelte man mich nicht als solchen. Ich aß mit der höheren Dienerschaft in der Anrichtestube, ich brauchte nicht Bedientenkleidung zu tragen und als mich der Graf von Favria, ein junger Leichtfuß, hinten auf seine Kutsche steigen lassen wollte, verbot sein Großvater, daß ich mich auf irgend einen Wagen hinten als Diener hinstellen oder jemandem außerhalb des Hauses in gleicher Eigenschaft folgen sollte. Allerdings wartete ich bei Tafel auf und leistete innerhalb des Hauses ungefähr den Dienst eines Lakaien, aber ich verrichtete ihn
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