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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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die Güte ihres Schwiegervaters, der endlich inne wurde, daß ich da war. Am Abende nach dem erwähnten Mahle hatte er eine halbstündige Unterredung mit mir, von der er befriedigt schien und ich mich bezaubert fühlte. So viel Geist dieser gute Greis auch besaß, so hatte er doch weniger als Frau von Vercellis; dafür hatte er aber mehr Herz und nahm sich meiner mit größerem Edelmuthe an. Er forderte mich auf, mich an seinen Sohn, den Abbé von Gouvon anzuschließen, der mich liebgewonnen hätte; diese Zuneigung könnte mir, wenn ich sie benutzte, insofern vortheilhaft sein, daß er mir beistände, mir das zu erwerben, was mir für die Absichten, die man mit mir hätte, noch fehlte. Schon früh am nächsten Tage eilte ich zu dem Herrn Abbé hin. Er empfing mich nicht wie einen Diener, bot mir einen Platz vor seinem Kaminfeuer an und sah, indem er mich mit größter Milde prüfte, bald ein, daß mein in so vielen Wissenschaften begonnener Unterricht in keiner einzigen vollendet war. Da er sich namentlich überzeugte, daß ich wenig Latein wußte, übernahm er, mich darin weiter zu bringen. Wir kamen überein, daß ich ihn alle Morgen besuchen sollte, und ich begann gleich am andern Tage. Auf diese Weise war ich in Folge einer jener Seltsamkeiten, die man oft in meinem Lebenslaufe finden wird, in einer Stellung zugleich über und unter meinem Stande; ich war in dem nämlichen Hause Schüler und Diener, und in meinem Bedientenstande hatte ich gleichwohl einen Lehrer von so hoher Geburt, daß er diese Stellung nur bei Kindern von Königen hätte übernehmen können.
    Der Abbé von Gouvon war ein jüngerer, von der Familie für einen Bischofssitz bestimmter Sohn, der aus diesem Grunde umfassendere Studien hatte treiben müssen, als bei Kindern vornehmer Familien der Fall zu sein pflegt. Man hatte ihn auf die Universität zu Siena gesandt, wo er mehrere Jahre verweilt und von wo er eine ziemlich starke Dosis Cruscantismus zurückgebracht hatte, so daß er in Turin ungefähr dasselbe war, was der Abbé Dangeau dereinst in Paris. [Fußnote: Cruscantismus ist hier mit Purismus synonym. Die Italiener bezeichnen mit dem Worte cruscante jeden, der sich bestrebt, sich nur der von der Akademie della Crusca anerkannten Worte zu bedienen.] Aus Abneigung gegen die Theologie hatte er sich der schönen Literatur zugewandt, was in Italien bei denen, welche die Laufbahn eines Prälaten einschlagen, sehr gewöhnlich ist. Er hatte die Dichter fleißig gelesen; er machte in lateinischer und italienischer Sprache leidliche Verse. Kurz er hatte so viel Geschmack, wie er brauchte, den meinigen zu bilden und in den Wust, mit dem ich mir den Kopf vollgepfropft hatte, einige Ordnung zu bringen. Sei es jedoch, daß mein Geschwätz in ihm eine falsche Vorstellung von meinem Wissen hervorgerufen hatte, sei es, daß ihm die Anfangsgründe der lateinischen Sprache unerträglich waren, er trieb sie von Anfang an zu schwer für mich. Kaum hatte er mich einige Fabeln des Phädrus übersetzen lassen, so stürzte er mich in den Virgil hinein, der mir fast völlig unverständlich blieb. Es war, wie man in der Folge sehen wird, meine Bestimmung, das Lateinische oft anzufangen und es nie zu lernen. Indessen arbeitete ich mit ziemlichem Eifer, und der Herr Abbé mühte sich mit einer Güte, an die ich noch immer mit Rührung zurückdenke, mit mir ab. Ich brachte sowohl zu meinem Unterrichte als auch in seinem Dienste einen guten Theil des Morgens bei ihm zu; nicht als hätte ich ihn persönlich zu bedienen gehabt – das duldete er nie von mir – aber ich mußte schreiben, was er dictirte, oder Abschriften anfertigen, und diese Thätigkeit als sein Schreibgehilfe war mir nützlicher als jene, die ich als Schüler entfaltete. Nicht allein lernte ich auf diese Weise das Italienische in seiner vollen Reinheit, sondern faßte auch Vorliebe für die Literatur und gewann ein ziemlich richtiges Urtheil über den Werth der Bücher, das ich mir bei der Tribu nicht aneignen konnte und das mir in der Folge, als ich für mich allein zu arbeiten begann, große Dienste leistete.
    Diese Zeit war diejenige in meinem Leben, in der ich mich, frei von allen romanhaften Plänen, am vernünftigsten der Hoffnung, es zu etwas zu bringen, überlassen konnte. Der Abbé machte kein Hehl daraus, wie zufrieden er mit mir war, und sein Vater hatte mir sein Wohlwollen in so hohem Grade geschenkt, daß er, wie mir der Graf von Favria erzählte, mit dem Könige von mir gesprochen hatte.

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