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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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gewissermaßen aus freiem Antriebe, ohne daß mir die Bedienung einer bestimmten Person übertragen wäre. Mit Ausnahme einiger Briefe, die man mir dictirte, und weniger Bilder, die mir der Graf von Favria auszuschneiden befahl, gab man mir keine Arbeit auf, so daß ich fast den ganzen Tag über Herr meiner Zelt war. Diese Probe, auf die ich mich nicht gefaßt gemacht hatte, war sicherlich sehr gefährlich; sie war nicht einmal sehr gut gemeint, denn diese große Untätigkeit konnte mich dahin bringen, daß ich Laster annahm, die mir sonst fremd geblieben wären.
    Aber zum größten Glücke war dies nicht der Fall. Herrn Gaime's Lehren hatten Eindruck auf mein Herz gemacht, und sie gefielen mir in so hohem Grade, daß ich mich bisweilen heimlich entfernte, um sie von neuem anzuhören. Ich glaube, daß die, welche mich so verstohlen ausgehen sahen, schwerlich ahnten, wohin ich ging. Es läßt sich unmöglich etwas Verständigeres denken als die Rathschläge, die er mir über meine Aufführung gab. Mein erstes Auftreten in meinem neuen Dienste war bewunderungswürdig gewesen; ich hatte eine Beflissenheit, eine Aufmerksamkeit, einen Diensteifer gezeigt, die alle Welt bezauberten. Der Abbé Gaime hatte mir klüglich den Wink gegeben, diesen ersten Feuereifer zu mäßigen, damit er nicht späterhin in auffallender Weise nachließe. »Ihr erstes Auftreten,« sagte er, »wird die Richtschnur für alle an Sie gestellte Anforderungen sein; richten Sie es so ein, daß Sie in der Folge noch mehr leisten können, aber hüten Sie sich, je weniger zu thun.«
    Da man sich nur oberflächlich nach meinen kleinen Fähigkeiten erkundigt hatte und bei mir keine andern voraussetzte als die, welche mir die Natur verliehen hatte, so schien es trotz jener Versicherung des Grafen von Gouvon nicht, daß man daran dächte, meine Talente auszunutzen. Andere Angelegenheiten kamen dazwischen, und ich wurde fast vergessen. Der Marquis von Breil, Sohn des Grafen von Gouvon, war damals Gesandter in Wien. Bei Hofe waren plötzlich Veränderungen eingetreten, die sich in der Familie fühlbar machten, und man befand sich hier einige Wochen lang in einer Aufregung, die nicht Zeit übrig ließ, an mich zu denken. Bis dahin hatte ich jedoch in meinem Diensteifer wenig nachgelassen. Ein Umstand war mir angenehm und doch auch wieder schädlich, indem er jede äußere Zerstreuung fernhielt, aber mich hinsichtlich meiner Pflichten ein wenig zerstreuter machte,
    Fräulein von Breil war eine junge Person, ungefähr in meinem eigenen Alter, gut gewachsen, leidlich hübsch, von sehr weißer Hautfarbe, mit ganz dunklem Haar und, obgleich Brünette, mit jener Sanftmuth in den Zügen, durch welche sich die Blondinen auszuzeichnen pflegen, und der mein Herz nie hat widerstehen können. Die jungen Personen so kleidsame Hoftracht ließ ihren niedlichen Wuchs hervortreten, zeigte ihren Busen und ihre Schultern unverhüllt und machte in Folge der Trauer, die man damals trug, ihren Teint noch blendender. Man wird sagen, daß es einem Diener nicht zustehe, solchen Dingen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich hatte ohne Zweifel Unrecht, aber ich bemerkte es dennoch und ich war nicht einmal der Einzige. Der Haushofmeister und die Kammerdiener sprachen bei Tische bisweilen mit einer Gemeinheit davon, die mir grausame Qualen bereitete. Der Kopf schwindelte mir trotzdem nicht in dem Grade, daß ich mich Knall und Fall in sie verliebte. Ich vergaß mich nicht, ich hielt mich auf meinem Platze, und selbst meine Begierden nahmen sich keine Freiheiten heraus. Ich blickte Fräulein von Breil gern an, hörte sie gern einige Worte äußern, in denen sich Geist, Verstand und Sittsamkeit zu erkennen gab; mein Ehrgeiz, der sich auf das Vergnügen, sie zu bedienen, beschränkte, ging nicht über meine Rechte hinaus. Bei Tafel suchte ich aufmerksam nach der Gelegenheit, sie zur Geltung zu bringen. Verließ ihr Diener einen Augenblick ihren Stuhl, so sah man mich sofort hinter ihm stehen, sonst stellte ich mich ihr gegenüber auf; ich suchte ihr ihre Wünsche an den Augen abzulesen; ich paßte den Augenblick ab, ihren Teller zu wechseln. Was würde ich nicht gethan haben, damit sie mich eines Auftrages, eines Blickes, eines einzigen Wortes gewürdigt hätte. Aber nein, ich hatte die Kränkung, für sie gar nicht zu existiren, sie bemerkte nicht einmal, daß ich da war. Eines Tages hatte ihr Bruder, der bisweilen bei Tafel das Wort an mich richtete, eine nicht sehr verbindliche Aeußerung

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