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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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darbietende Veranlassungen würde ein Mensch, der von Natur sehr empfindsam ist, nichts fühlen und dahin sterben, ohne sein Wesen erkannt zu haben. So war ich ungefähr bisher gewesen und wäre vielleicht beständig so geblieben, hätte ich Frau von Warens nicht kennen gelernt oder nach gemachter Bekanntschaft nicht lange genug bei ihr gelebt, um die süße Gewohnheit der zärtlichen Gefühle, die sie mir einflößte, anzunehmen. Ich wage zu behaupten: Wer nur Liebe fühlt, fühlt das nicht, was es noch Süßeres im Leben gibt. Ich kenne ein anderes Gefühl, weniger heftig vielleicht, aber tausendmal köstlicher, welches bisweilen mit der Liebe verbunden, allein auch oft von ihr getrennt ist. Dieses Gefühl ist auch nicht etwa blose Freundschaft, es ist wollüstiger, zärtlicher. Ich halte es nicht für möglich, daß man es für eine Person desselben Geschlechtes empfinden könne; wenigstens war ich Freund, wenn je ein Mann es war, und empfand es nie bei irgend einem meiner Freunde. Diese Behauptung ist jetzt nicht recht deutlich, wird es in der Folge jedoch werden; die Empfindungen lassen sich nur an ihren Wirkungen richtig schildern.
    Sie bewohnte ein altes Haus, das jedoch groß genug war, um noch ein schönes Zimmer übrig zu haben, das sie als Putzzimmer benutzte, und in diesem brachte man mich unter. Es lag nach dem bereits erwähnten Durchgange hinaus, in dem unser erstes Zusammentreffen stattfand, und über den Bach und die Gärten hinweg hatte man einen Blick auf die ländlichen Fluren. Diese Aussicht war für den jungen Bewohner nichts Gleichgültiges. Seit meinem Aufenthalte in Vassey hatte ich zum ersten Male wieder etwas Grünes vor meinen Fenstern. Immer von neuem eingeschlossen, hatte ich nur Dächer oder das Grau der Straßen vor Augen gehabt. Eine wie angenehme und erquickende Wirkung übte doch dieser ungewohnte Anblick auf mich aus! Er steigerte in hohem Grade meine Neigung zur Rührung. Ich rechnete diese reizende Landschaft meiner theuren Beschützerin als eine neue Wohlthat an: es kam mir so vor, als hätte sie dieselbe ganz ausdrücklich für mich dorthin versetzt; ich stellte mich mit ruhigem Sinne und glücklichem Herzen neben sie hinein; ich erblickte sie überall zwischen den Blumen und dem Grün; ihre Reize und die des Frühlings gingen vor meinen Augen in einander über. Mein so lange gedrücktes Herz fühlte sich in diesem Raume erweitert, und unter diesen Gärten stiegen meine Seufzer freier aus meiner Brust empor.
    Fand man bei Frau von Warens auch nicht die Pracht, die ich in Turin gesehen hatte, so fand man doch Sauberkeit, Anständigkeit und einen patriarchalischen Ueberfluß, mit welchem Prunk unvereinbar ist. Sie hatte wenig Silbergeschirr, kein Porcellan, kein Wildbret in ihrer Küche noch fremde Weine in ihrem Keller, aber Küche wie Keller waren für jedermann wohl versehen, und in ihren Tassen von Steingut gab sie ausgezeichneten Kaffee. Wer zu ihr kam, wurde zum Essen an ihrem oder ihrer Leute Tisch eingeladen, und nie schied ein Arbeiter, Bote oder armer Reisender von ihr, ohne Essen oder Trinken erhalten zu haben. Ihre Dienerschaft bestand aus einem ziemlich hübschen Kammermädchen aus Freiburg, das Merceret hieß, einem Knechte aus ihrer Heimat, Namens Claude Anet, von dem noch weiter die Rede sein wird, einer Köchin und zwei Sänftenträgern, die bei den seltenen Besuchen, welche sie abstattete, gemiethet wurden. Viel Leute, wenn man jährlich nur über zweitausend Livres zu gebieten hat! Allein bei sparsamer Einrichtung hätte ihr kleines Einkommen zu dem Allen in einem Lande hinreichen können, in dem der Boden gut und das Geld selten ist. Unglücklicherweise gehörte Sparsamkeit nicht zu ihren Lieblingstugenden; sie machte Schulden und zahlte fort und fort; das Geld verschwand unter ihren Händen und kein Heller blieb ihr übrig.
    Die Art ihrer häuslichen Einrichtung war genau so, wie ich sie gewählt haben würde; man kann sich vorstellen, daß ich sie mir mit Freuden zu Nutze machte. Weniger gefiel mir jedoch das lange Sitzenbleiben bei Tafel. Sie konnte nur mit Mühe den ersten Geruch der Suppe und der Speisen ertragen; dieser Geruch machte sie fast ohnmächtig, und ihr Widerwille dagegen währte lange. Nach und nach erholte sie sich und plauderte, ohne zu essen. Erst nach Verlauf einer halben Stunde versuchte sie den ersten Bissen. Ich hätte während dieser Zeit dreimal gespeist; mein Mahl war lange beendet, ehe sie das ihrige begonnen hatte. Zur Gesellschaft

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