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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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fing ich noch einmal an; auf diese Weise aß ich für zwei und fand mich nicht übler dabei. Kurz ich überließ mich dem süßen Gefühle des Wohlseins, welches ich bei ihr empfand, um so mehr, als dieses Wohlsein, das ich genoß, mit keiner Unruhe hinsichtlich der Mittel, es zu erhalten, vermischt war. Da ich ihre Verhältnisse noch nicht genau kannte, nahm ich an, daß die Wirtschaft immer in gleicher Weise fortgehen müßte. Ich habe später in ihrem Hause dieselben Annehmlichkeiten wiedergefunden, aber über ihre wirkliche Lage besser unterrichtet und bemerkend, daß sie ihre Einnahmen im voraus verzehrte, habe ich sie nicht mehr mit der gleichen Ruhe genossen. Die Voraussicht hat mir stets den Genuß verdorben. Trotzdem habe ich das Kommende immer vergeblich vorausgesehen; es ist mir nie möglich gewesen, ihm vorzubeugen.
    Vom ersten Tage an entwickelte sich zwischen uns die innigste Vertraulichkeit, welche während ihrer ganzen übrigen Lebenszeit in gleichem Grade fortgedauert hat. »Kleiner« wurde ich genannt, »Mama« redete ich sie an, und beständig blieben wir Kleiner und Mama, selbst dann noch, als die Zahl der Jahre den Unterschied zwischen uns beinahe völlig verwischt hatte. Ich finde, daß diese beiden Benennungen unsern Umgangston, die Harmlosigkeit unseres gegenseitigen Verhaltens und namentlich das Verhältnis unserer Herzen zu einander treffend bezeichnen. Sie war für mich die zärtlichste der Mütter, die nie ihr Vergnügen, sondern lediglich mein Wohl im Auge hatte, und wenn bei meiner Zuneigung zu ihr die Sinnlichkeit mit in das Spiel kam, so veränderte sie gleichwohl nicht den Charakter derselben, sondern verlieh ihr nur einen höheren Reiz und machte mich vor Entzücken trunken, eine junge und hübsche Mama zu haben, die zu liebkosen meine Lust war. Ich sage liebkosen buchstäblich genommen, denn nie kam es ihr in den Sinn, sich der Küsse und der zärtlichsten mütterlichen Liebkosungen gegen mich zu enthalten, und nie stieg der Gedanke in mir auf, davon Mißbrauch zu machen. Man wird behaupten, daß wir im Laufe der Zeit doch wohl ein Verhältnis anderer Art werden zu einander gehabt haben; ich gebe es zu, aber man muß es abwarten, ich kann nicht alles auf einmal sagen.
    Die wenigen Minuten unseres ersten Zusammentreffens waren der einzige wirklich leidenschaftliche Augenblick, den sie mich je hat fühlen lassen, und noch dazu war dieser Augenblick ein Werk der Ueberraschung. Nie suchten meine Blicke unbescheiden unter ihr Halstuch zu dringen, obgleich eine darunter schlecht verhüllte Fülle sie recht wohl hätte dorthin ziehen können. Ich fühlte in ihrer Nähe weder Wonneschauer noch Verlangen; ich befand mich in einer entzückenden Ruhe und einem süßem Genusse, ohne zu wissen, was ich genoß. Ich hätte auf diese Weise mein ganzes Leben und selbst die Ewigkeit zubringen können, ohne mich einen Augenblick zu langweilen. Sie ist die einzige Person, bei der ich nie jene Trockenheit der Unterhaltung gefühlt habe, die mir die Pflicht, sie fortzuführen, zur Marter macht. Unsere Unterhaltung bei unseren Zusammenkünften bestand nicht sowohl in einem regelrechten Gespräche, als vielmehr in einem unerschöpflichen Geplauder, welches unterbrochen werden mußte, wenn es ein Ende haben sollte. Sie mußte mir eher Schweigen gebieten, als mich zum Reden auffordern. Da sie unaufhörlich über ihre Projecte grübelte, verfiel sie oft in Träumerei. Ruhig ließ ich sie dann träumen; ich schwieg, betrachtete sie und war der glücklichste der Menschen. Noch eine sonderbare Wunderlichkeit war mir eigen. Ohne die Gunst des Alleinseins mit ihr zu beanspruchen, suchte ich es unaufhörlich und hatte eine leidenschaftliche Freude daran, die in Wuth ausartete, wenn zudringliche Menschen es störten. Sobald jemand kam, mochte es nun Mann oder Frau sein, ging ich murrend fort, da ich es nicht zu Dritt bei ihr auszuhalten vermochte. Ich zählte in ihrem Vorzimmer die Minuten, während ich tausendmal diese ewigen Besucher verfluchte und nicht begreifen konnte, was sie so viel zu sagen hatten, weil ich noch mehr zu sagen hatte.
    Ich empfand erst die ganze Stärke meiner Zuneigung zu ihr, wenn ich sie nicht sah. Wenn ich sie sah, erfüllte mich nur ein Gefühl der Befriedigung; aber in ihrer Abwesenheit steigerte sich meine Unruhe bis zur Pein. Das Bedürfnis des Zusammenseins mit ihr gab mir Aufwallungen von Rührung, die bis zu Thränen gingen. Ich werde nie vergessen, wie ich an einem hohen Feiertage,

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