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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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während sie in dem Nachmittagsgottesdienste war, vor der Stadt lustwandelte, das Herz voll von ihrem Bilde und dem glühenden Wunsche, meine Tage an ihrer Seite zu verleben. Ich hatte Verstand genug, um einzusehen, daß es gegenwärtig nicht möglich war, und daß ein Glück, wie es mir jetzt in so hohem Grade zu Theil wurde, nur kurz sein könnte. Dies verlieh meiner Träumerei eine Schwermuth, die gleichwohl nichts Düstres hatte und von einer schmeichelhaften Hoffnung gemildert wurde. Der Glockenklang, der mich stets eigenthümlich gerührt hat, der Gesang der Vögel, die Schönheit des Tages, die Anmuth der Gegend, die zerstreuten Landhäuser, die ich in meiner Phantasie zu unserm gemeinsamen Asyle ausersah, das alles brachte auf mich einen so lebhaften, zarten, schwermüthigen und rührenden Eindruck hervor, daß ich mich wie in schwärmerischer Verzückung schon in diese glückliche Zeit und in diese beglückende Heimstätte versetzt sah, wo mein Herz im Besitze jeder Seligkeit, die das Ziel seines Sehnens war, sie in unbeschreiblichen Entzückungen empfand, ohne dabei auch nur an die Sinneslust zu denken. Ich erinnere mich nicht, mich je mit größerer Kraft und Illusion in die Zukunft versenkt zu haben als damals, und was mich bei der Erinnerung an diese Träumerei nach ihrer endlichen Verwirklichung am meisten überrascht hat, ist das Auffallende, daß ich die Gegenstände genau so, wie ich sie mir vorgestellt, wiedergefunden habe. Wenn je die Träumerei eines Menschen im wachen Zustande an eine prophetische Vision streifte, so war es sicherlich die eben erzählte. Nur in ihrer eingebildeten Dauer unterlag ich einer Täuschung, denn die Tage und die Jahre und das ganze Leben verflossen darin in unveränderlicher friedlicher Ruhe, während in Wirklichkeit das alles nur einen Augenblick gedauert hat. Ach, mein dauerndstes Glück hat nur ein Traum mir vorgegaukelt; auf seine Erfüllung folgte fast unmittelbar das Erwachen.
    Ich fände kein Ende, ließe ich mich auf eine ausführliche Aufzählung aller Thorheiten ein, welche mich der Gedanke an die liebe Mama, sobald ich nicht unter ihren Augen weilte, begehen ließ. Wie oft habe ich mein Bett geküßt, weil ich mir vorstellte, daß sie darin gelegen, wie oft meine Vorhänge, alle Möbel meines Zimmers, bei dem Gedanken, daß sie ihr gehörten, daß ihre schöne Hand sie berührt hatte, ja selbst den Fußboden, auf den ich mich in der Vorstellung, daß sie darüber hingeschritten, niederstürzte! Mitunter ließ ich mich sogar in ihrer Gegenwart zu Thorheiten hinreißen, zu welchen dem Anscheine nach nur die heftigste Liebe den Antrieb geben konnte. Eines Tages rufe ich bei Tische in dem Augenblicke, als sie eben einen Bissen in den Mund gesteckt, daß ich ein Haar an ihm gesehen hätte; kaum hat sie ihn auf ihren Teller zurückgeworfen, so erhasche ich ihn gierig und verschlinge ihn. Mit einem Worte, zwischen mir und dem leidenschaftlichsten Liebhaber gab es nur einen einzigen, aber höchst wesentlichen Unterschied, der meinen Zustand für die Vernunft beinahe unbegreiflich macht.
    Ich war von Italien nicht völlig so, wie ich hingegangen, zurückgekehrt, wie man jedoch in meinem Alter vielleicht noch nie von dort zurückgekehrt ist. Ich hatte nicht meine Jungfräulichkeit zurückgebracht, mich aber doch körperlich unbefleckt erhalten. Die mit den Jahren fortschreitende Reife hatte sich mir fühlbar gemacht; meine Sinnlichkeit hatte sich endlich offenbart, und ihr erster, sehr unabsichtlicher Ausbruch hatte mich hinsichtlich meiner Gesundheit in eine Unruhe versetzt, die besser als alles andere die Unschuld zu erkennen giebt, in der ich bis dahin gelebt hatte. Bald wieder beruhigt, lernte ich jenen gefährlichen Ausweg kennen, welcher die Natur irreführt und junge Leute meiner Natur auf Kosten ihrer Gesundheit, ihrer Kraft und zuweilen ihres Lebens vor vielen Ausschweifungen bewahrt. Dieses Laster, welches die Scham und die Schüchternheit so bequem finden, hat für lebhafte Phantasien noch einen großen Reiz mehr, den, gleichsam über das ganze Geschlecht nach eigenem Belieben zu verfügen und jede Schönheit, die sie mit Begierde erfüllt, ihrer Lust dienstbar zu machen, ohne erst ihre Einwilligung nöthig zu haben. Von diesem traurigen Vortheile verführt, war ich damit beschäftigt, den gesunden Körper zu zerrütten, den mir die Natur geschenkt und dem ich Zeit gegeben hatte, kräftig zu gedeihen. Denke man sich zu diesem bösen Hange noch den

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