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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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immer neuen Reizen vor meinen Augen; diese so viele Genüsse versprechende Reise schien mein ganzes Leben in Anspruch nehmen zu sollen. Ich erinnerte mich mit Entzücken, wie reizend mir diese nämliche Reise bei meiner Herkunft erschienen war. Was mußte sie erst werden, wenn zu allem Reize der Unabhängigkeit noch der hinzutrat, den Weg mit einem Gefährten von meinem Alter, meinem Hange und meinem Temperamente zurückzulegen, ungenirt, ungezwungen und ungebunden, marschirend oder rastend, sobald es uns beliebte. Man hätte ein Thor sein müssen, um ein solches Glück den Plänen des Ehrgeizes zu opfern, die sich erst langsam und schwierig verwirklichen ließen und deren Erfolg sogar unsicher war, Plänen, die selbst bei einem dereinstigen Gelingen trotz all ihres Glanzes auch nicht eine Viertelstunde wahrer Freude und jugendlicher Freiheit aufwogen.
    Von diesem klugen Gedanken erfüllt, betrug ich mich der Art, daß es mir wirklich gelang, weggejagt zu werden, und ich setzte es in Wahrheit nicht ohne Mühe durch. Eines Abends zeigte mir der Haushofmeister, als ich heimkehrte, meine Entlassung im Namen des Herrn Grafen an. Das war es gerade, was ich verlangte; denn da sich mir das Bewußtsein von der Thorheit meines Betragens recht wohl aufdrängte, fügte ich derselben zu meiner Selbstentschuldigung noch Ungerechtigkeit und Undankbarkeit hinzu, in dem Wahne, dadurch das Unrecht auf jene Leute zu wälzen und mich vor mir selbst zu rechtfertigen, als hätte ich mich nur aus Noth zu meinem Entschlüsse bestimmen lassen. Der Graf von Favria hatte mir sagen lassen, er wünschte mich morgen früh vor meinem Verlassen des Hauses noch einmal zu sprechen, und da man mir anmerkte, daß ich bei meiner Hirnzerrüttung fähig wäre, diese Aufforderung unbeachtet zu lassen, erklärte mir der Haushofmeister, er würde mir erst nach meiner Aufwartung bei demselben eine kleine mir bewilligte Geldsumme auszahlen, die ich sicherlich nicht verdient hätte, denn da man nicht beabsichtigte, mich in dem Dienerstande zu lassen, so hatte man mir auch keinen festen Lohn ausgesetzt.
    So jung und leichtfertig der Graf von Favria auch war, so hielt er mir bei dieser Gelegenheit doch die verständigsten und ich möchte fast sagen, die zärtlichsten Reden, in so herzlicher und für mich schmeichelhafter und rührender Weise setzte er mir die freundlichen Gesinnungen seines Oheims und die Absichten seines Großvaters auseinander. Nachdem er mir endlich alles, was ich opferte, um mich ins Verderben zu stürzen, lebhaft vor Augen gestellt hatte, bot er sich mir zum Vermittler an, indem er mir nur die eine Bedingung stellte, daß ich den Verkehr mit dem kleinen Taugenichts, der mich verführt hatte, aufgeben sollte.
    Es war so augenscheinlich, daß er das alles nicht aus sich selbst sprach, daß ich trotz meiner albernen Verblendung die ganze Güte meines greisen Herrn empfand und von ihr gerührt wurde; allein diese genußreiche Reise hatte sich meiner Phantasie bereits allzu tief eingeprägt, als daß irgend etwas ihren Reiz aufwiegen konnte. Ich war völlig wie von Sinnen, ich wurde verstockt und verhärtet, ich spielte den Stolzen und erwiderte hochmüthig, da man mir den Abschied einmal ertheilt, hätte ich ihn angenommen; jetzt wäre es zu spät, ihn zu widerrufen; was mir im Leben auch zustoßen könnte, so wäre ich doch entschlossen, mich nie zweimal aus einem Hause fortjagen zu lassen. Mit Recht aufgebracht, legte mir nun dieser junge Mann die Namen bei, die ich verdiente, stieß mich an den Schultern zu seinem Zimmer hinaus und schlug die Thüre hinter mir zu. Wie im Triumphe ging ich meiner Wege, als hätte ich den größten Sieg erfochten, und aus Furcht, noch einen zweiten Kampf durchzumachen, hatte ich die Niedrigkeit, mich zu entfernen, ohne mich bei dem Herrn Abbé für alle seine Güte zu bedanken.
    Um die ganze Höhe meines Wahnsinns in diesem Augenblicke zu begreifen, müßte man wissen, wie sehr mein Herz geneigt ist, sich für die geringsten Dinge zu erwärmen, und wie gewaltig es sich in die Vorstellung des Gegenstandes, der es anlockt, vertieft, so nichtig dieser Gegenstand bisweilen auch sein mag. Die seltsamsten, kindischsten, albernsten Pläne nähren dann meinen Lieblingsgedanken und zeigen mir die Möglichkeit, ihn auszuführen. Sollte man glauben, daß man in einem Alter von beinahe neunzehn Jahren sein Auskommen für seine ganze übrige Lebenszeit auf ein leeres Fläschchen gründen könne? Man höre nur!
    Der Abbé

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