Rousseau's Bekenntnisse
Landschaften ringsumher. Ich bedarf durchaus eines Obstgartens am Ufer dieses Sees und keines andern; ich bedarf eines zuverlässigen Freundes, einer liebenswürdigen Frau, einer Kuh und eines Bootes. Nie werde ich hienieden ein vollkommenes Glück genießen, als bis ich dies alles habe. Ich lache über die Einfalt, in der ich mehrere Male in dieses Land gekommen bin, einzig und allein um dieses eingebildete Glück darin zu suchen. Ich war stets verwundert, die Bewohner desselben, namentlich die Frauen, von einem ganz andern Charakter zu finden, als ich vorausgesetzt hatte. Welcher Widerspruch schien mir doch darin zu liegen! Das Land und seine Bevölkerung sind mir nie wie für einander geschaffen vorgekommen.
Auf dieser Reise nach Vevay versenkte ich mich, das schöne Ufer entlang gehend, in die süßeste Schwermuth. In heißer Glut stürzte sich mein Herz in tausenderlei unschuldige Wonnen; ich wurde gerührt, ich seufzte und weinte wie ein Kind. Wie oft unterbrach ich meine Wanderung, um mich, auf einem Felsblocke sitzend, nach Herzenslust auszuweinen, und hatte meine Lust daran, wenn ich sah, wie meine Thränen in das Wasser fielen.
In Vevay wohnte ich im »Schlüssel«, und während der zwei Tage, die ich daselbst blieb, ohne jemand zu besuchen, faßte ich für diese Stadt eine Vorliebe, die mich auf allen meinen Reisen begleitete und mich endlich bewog, die Helden meines Romans dorthin zu versetzen. Ich möchte allen, die Schönheitsgefühl und Empfänglichkeit besitzen, den Rath geben: Gehet nach Vevay, lernet das Land kennen, betrachtet die Landschaft, machet Lustfahrten auf dem See und saget selbst, ob nicht die Natur dieses schöne Land für eine Julie, für eine Clara und für einen Saint-Preux geschaffen hat. Aber suche sie nicht darin! – Ich komme jetzt zu meiner Geschichte zurück.
Da ich Katholik war und mich als solchen bekannte, nahm ich ohne Heimlichkeit und ohne Bedenken an den Gottesdiensten des Glaubens Theil, zu dem ich übergetreten war. Bei schönem Wetter besuchte ich Sonntags die Messe in Assens, zwei Meilen von Lausanne. Gewöhnlich machte ich diesen Weg mit anderen Katholiken, namentlich mit einem Pariser Sticker, dessen Namen ich vergessen habe. Er war kein Pariser gleich mir, nein, er war ein echter Pariser aus Paris, ein Erzpariser und dabei eine kreuzbrave Seele, gutmüthig wie ein Kind der Champagne. Er liebte seine Heimat so sehr, daß er meine Landsmannschaft nie in Zweifel setzen wollte, aus Furcht, diese Gelegenheit zu verlieren, von ihr zu reden. Herr von Cronzas, der Patrimonialrichter, hatte ebenfalls einen Pariser, aber einen weniger umgänglichen, zum Gärtner, der den Ruhm seiner Vaterstadt für gefährdet hielt, wenn man sich ihrer zu rühmen wagte, ohne auf dieses Glück Anspruch machen zu können. Er fragte mich mit der Miene eines Mannes aus, der seiner Sache sicher war, mich auf einem Fehler zu ertappen, und lächelte dann boshaft. Einmal fragte er mich, was für Merkwürdiges sich auf dem Neumarkt fände. Ich machte, wie man sich denken kann, leere Redensarten. Nachdem ich zwanzig Jahre in Paris zugebracht habe, muß ich jetzt diese Stadt kennen; wenn man mir jedoch heut die nämliche Frage vorlegte, würde ich nicht weniger verlegen sein, darauf zu antworten, und man würde aus dieser Verlegenheit eben so gut den Schluß ziehen können, daß ich nie in Paris gewesen sei; in so hohem Grade ist man selbst bei voller Wahrheit der Gefahr ausgesetzt, sich auf irre führende Gründe zu stützen.
Ich kann nicht genau sagen, wie lange ich mich in Lausanne aufhielt. Ich brachte aus dieser Stadt keine bleibenden Erinnerungen mit. Ich weiß nur, daß ich aus Mangel an Verdienst von dort nach Neufchâtel ging und daselbst den Winter verlebte. In letzterer Stadt hatte ich größeren Erfolg; ich bekam dort Schüler und verdiente genug, um meinem guten Freunde Perrotet, der mir trotz meiner großen Schuld bei ihm mein kleines Gepäck treulich nachgeschickt hatte, dieselbe abtragen zu können.
Nach und nach lernte ich beim Unterrichten die Musik. Mein Leben war ziemlich angenehm; ein vernünftiger Mensch hätte sich damit begnügen können, allein mein unruhiges Herz verlangte nach etwas Anderem. Sonntags und an meinen freien Tagen durchstrich ich die Umgegend und die benachbarten Wälder, stets umherirrend, träumend, seufzend, und so oft ich einmal die Stadt verlassen hatte, kehrte ich nie vor Abend zurück. Als ich einst in Boudry in eine Schenke einkehrte, um zu Mittag zu
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