Rousseau's Bekenntnisse
mich mit großer Güte und meinte, man dürfte mich mit diesem griechischen Mönche nicht ziehen lassen. Man entschied sich dahin, daß ich im Gesandtschaftshotel bleiben sollte, bis man sähe, was man aus mir machen könnte. Ich wollte mich zu meinem armen Archimandriten begeben, den ich liebgewonnen hatte, und ihm Lebewohl sagen, allein man gestattete es mir nicht. Man setzte ihn von meiner Verhinderung in Kenntnis, und schon eine Viertelstunde später sah ich meinen kleinen Reisesack ankommen. Gewissermaßen wurde dem Herrn de la Martinière, dem Secretär der Gesandtschaft, die Sorge für mich übertragen. Als er mich in das für mich bestimmte Zimmer führte, sagte er zu mir: »Unter dem Grafen du Luc ist dieses Zimmer von einem berühmten Manne bewohnt worden, der denselben Namen trug wie Sie. Es hängt nur von Ihnen ab, ihn in jeder Weise zu ersetzen, daß es eines Tages heißt: Rousseau der Erste, Rousseau der Zweite.« Diese Gleichheit, auf welche ich damals keineswegs rechnete, würde meinem Verlangen, dieses Ziel zu erreichen, weniger geschmeichelt haben, wenn ich hätte voraussehen können, mit welchem Preise ich sie eines Tages erkaufen würde.
Die Worte des Herrn de la Martinière erfüllten mich mit Neugier. Ich las die Werke dessen, der vor mir dieses Zimmer bewohnt hatte, und da mich nach der Schmeichelei, die man mir gesagt, der Wahn erfaßte, ich hätte dichterische Begabung, so dichtete ich zum Versuche ein Loblied auf Frau von Bonac. Diese Begabung bewährte sich jedoch nicht. Von Zeit zu Zeit habe ich mittelmäßige Verse gemacht; man kann sich dadurch ziemlich gut auf elegante Wendungen einüben, und eine bessere Prosa schreiben lernen, aber ich habe in der französischen Poesie nie Reiz genug gefunden, um mich ihr völlig hinzugeben. [Fußnote: Var.: ... völlig hinzugeben, und würde in ihr wahrscheinlich geringe Erfolge erzielt haben.]
Herr de la Martinière wollte meine Schreibweise kennen lernen und verlangte, ich sollte ihm das, was ich dem Gesandten erzählt, ausführlich aufschreiben. Ich schrieb ihm einen langen Brief, welchen, wie ich höre, Herr von Marianne, der dem Marquis von Bonac schon seit langer Zeit beigegeben war und später, als Herr von Courteilles die Gesandtschaft übernahm, der Nachfolger des Herrn de la Martinière wurde, aufbewahrt hat. Ich habe Herrn von Malesherbes gebeten, mir eine Abschrift dieses Briefes zu verschaffen. Wenn ich sie durch ihn oder durch andere erhalten kann, wird man sie in der Sammlung finden, welche als Anhang meiner Bekenntnisse erscheinen soll.
Die Erfahrung, welche ich allmählich gewann, hielt meine romantischen Pläne und Hoffnungen nach und nach in den gehörigen Schranken; so wurde ich zum Beispiel nicht nur nicht verliebt in Frau von Bonac, sondern fühlte auch augenblicklich, daß mir das Haus ihres Mannes keine großen Aussichten bot. Bei der Stellung des Herrn de la Martinière und der Anwartschaft des Herrn von Marianne konnte ich höchstens auf die Stelle eines Untersecretärs rechnen, die für mich nicht viel Verlockendes hatte. Aus diesem Grunde bezeigte ich, als man mich über das, was ich anzufangen gedächte, befragte, große Lust nach Paris zu gehen. Dem Herrn Gesandten gefiel dieser Gedanke, dessen Ausführung ihn wenigstens von mir befreien mußte. Herr von Merveilleux, Dolmetscher der Gesandtschaft, sagte, sein Freund Godard, Schweizeroberst in französischen Diensten, suchte für seinen Neffen, der sehr jung in den Dienst träte, einen Gefährten, und er dächte, ich würde seinem Freunde gefallen. Auf diese ziemlich leichtsinnig gefaßte Hoffnung hin wurde meine Abreise beschlossen, und ich, der ich wieder Aussicht auf eine Reise hatte und noch dazu nach Paris, schwelgte in Wonne. Man gab mir unter vielen guten Lehren einige Briefe und hundert Francs Reisegeld, und ich machte mich auf den Weg.
Ich gebrauchte zu diese Reise vierzehn Tage, die ich zu den glücklichen meines Lebens zählen kann. Ich war jung, befand mich wohl, hatte reichlich Geld, viel Hoffnung, reiste zu Fuß und reiste allein. Die Aufzählung des letzten Vortheils müßte Verwunderung erregen, hätte man sich nicht schon mit meiner Gemüthsart vertraut machen müssen. Meine freundlichen Traumbilder leisteten mir Gesellschaft, und nie hat die Glut meiner Einbildungskraft reizendere erzeugt. Bot mir jemand einen Platz auf einem Wagen an, oder redete mich jemand unterwegs an, so machte ich ein finsteres Gesicht, da ich befürchtete, das Luftschloß, das
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