Rousseau's Bekenntnisse
essen, traf ich daselbst einen langbärtigen Mann in einem violetten Gewande nach griechischer Tracht, mit verbrämter Mütze, von ziemlich vornehmem Aeußern und Wesen, der sich nur schwer verständlich machen konnte, da er ein fast kaum zu errathendes Kauderwelsch sprach, das jedoch mehr vom Italienischen als von jeder anderen Sprache enthielt. Ich verstand fast alles, was er sagte, und zwar ich allein; mit dem Wirthe und den Landleuten vermochte er sich nur durch Zeichen zu verständigen. Ich redete ihn italienisch an und er verstand mich vollkommen; er stand auf und umarmte mich voller Freuden. Die Bekanntschaft war bald geschlossen, und von diesem Augenblicke an diente ich ihm als Dolmetscher. Sein Essen war gut, das meinige noch nicht mittelmäßig; er lud mich ein, an dem seinigen Theil zu nehmen, und ich ließ mich nicht lange nöthigen. Beim Trinken und Radebrechen wurden wir vollends vertraut und gegen Ende des Mahls waren wir unzertrennlich. Er erzählte mir, er wäre ein griechisch-katholischer Prälat und Archimandrit von Jerusalem und hätte den Auftrag, in Europa eine Sammlung zur Wiederherstellung des heiligen Grabes vorzunehmen. Er zeigte mir schön ausgestattete Erlaubnisscheine der Zarin und des Kaisers; auch besaß er deren noch eine große Zahl von anderen Fürsten. Er war mit dem Ertrage seiner bisherigen Sammlung ziemlich zufrieden; aber in Deutschland hätte er unglaubliche Mühe gehabt, da er weder ein Wort Deutsch noch Lateinisch noch Französisch verstand und sich lediglich mit seinem Griechisch, Türkisch und der lingua franca durchhelfen mußte, was ihm in dem Lande, in welches er sich hineingewagt hatte, wenig Nutzen gewährte. Er machte mir den Vorschlag, ihn als Secretär und Dolmetscher zu begleiten. Trotz meines ziemlich neuen Röckleins, welches zu meiner neuen Stellung gar nicht übel paßte, war mein Aeußeres doch im Ganzen so ärmlich, daß er mich ohne Mühe zur Annahme seines Anerbietens zu bewegen hoffte, und er irrte sich nicht. Unser Vertrag war binnen Kurzem abgeschlossen; ich verlangte nichts, und er versprach viel. Ohne Bürgschaft, ohne Sicherheit, ohne nähere Bekanntschaft vertraue ich mich seiner Leitung an, und bereits der nächste Morgen sieht mich auf dem Wege nach Jerusalem.
Wir begannen unsere Rundreise mit dem Canton Freiburg, in dem er keine glänzenden Geschäfte machte. Die bischöfliche Würde gestattete ihm nicht, den Bettler zu spielen und Privatleute anzusprechen; wir beschränkten uns deshalb darauf, den Senat von seinem Auftrage in Kenntnis zu setzen, der ihm eine kleine Summe bewilligte. Von dort ging es nach Bern. Wir wohnten im Falken, einem damals vorzüglichen Gasthause, in dem es an guter Gesellschaft nie fehlte. Die von zahlreichen Gästen besetzte Tafel war stets gut versehen. Ich hatte mich lange mit schlechter Kost begnügen müssen und fühlte sehr das Bedürfnis, meinen Leib zu pflegen; die Gelegenheit dazu war da und ich benutzte sie. Seine Hochwürden, der Herr Archimandrit, war selbst ein guter Gesellschafter, ein großer Tafelfreund, heiter, ein guter Erzähler für die, welche ihn verstehen konnten, auf einzelnen Gebieten ziemlich kenntnisreich und befähigt, seine griechische Gelehrsamkeit leuchten zu lassen. Als er eines Tages beim Nachtische Nüsse knackte, schnitt er sich dabei tief in die Fingerspitze, und da eine starke Blutung eintrat, zeigte er der Gesellschaft seinen Finger und sagte lachend: Mirate, signori, questo é sangue pelasgo.
In Bern war meine Vermittlung nicht vergeblich, und ich zog mich nicht so übel aus der Sache, wie ich befürchtet hatte. Ich war weit kühner und beredter, als ich für meine eigene Person gewesen wäre. Die Angelegenheit hatte nicht einen eben so leichten Verlauf wie in Freiburg. Es waren langweilige und häufige Verhandlungen mit den Ersten des Staates nöthig, und die Prüfung seiner Beglaubigungen ließ sich nicht an einem Tage abmachen. Nachdem endlich alles in Ordnung war, erhielt er Zutritt zum Senat. Als sein Dolmetscher wurde ich ebenfalls vorgelassen, und man forderte mich zu reden auf. Ich hatte mich auf nichts weniger gefaßt gemacht und es mir nicht in den Sinn kommen lassen, daß es nach so langen Unterhandlungen mit den einzelnen Mitgliedern noch einer besonderen Ansprache an die ganze Körperschaft bedürfen könnte, als ob noch gar nichts gesagt worden wäre. Man denke sich meine Verlegenheit! Für einen so schüchternen Menschen, nicht allein öffentlich, sondern sogar vor
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