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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Verwirklichung dieses schönen Planes mit der Nachfrage nach einem leidlichen und billigen Gasthofe. Man machte mich auf einen Herrn Perrotet aufmerksam, der Kostgänger hielt. Dieser Perrotet bewies sich mir gegenüber als der beste Mensch von der Welt und nahm mich sehr gut auf. Ich erzählte ihm meine kleinen Lügen, wie ich sie mir vorher zurecht gelegt hatte. Er versprach, mich zu empfehlen und sich zu bemühen, mir Schüler zu verschaffen, und versicherte, von mir erst Geld zu verlangen, wenn ich etwas verdient haben würde. Für Kost und Herberge waren fünf Weißthaler zu entrichten, eine für das Gebotene zwar geringe, aber für mich bedeutende Summe. Er rieth mir, zuerst mit der halben Kost fürlieb zu nehmen, welche zu Mittag nur aus einer guten Suppe, aber am Abend aus einem reichlichen Nachtessen bestand. Ich ging darauf ein. Der arme Perrotet gewährte mir alle diese Vortheile mit dem besten Herzen von der Welt und ließ nichts unversucht, um mir nützlich zu sein.
    Weshalb muß ich von den guten Menschen, deren ich so viele in meiner Jugend angetroffen habe, in vorgerückterem Lebensalter nur so wenige finden? Sind ihrer keine mehr vorhanden? Das nicht; allein der Kreis, in dem ich sie jetzt suchen muß, ist nicht mehr derselbe, in welchem ich sie damals fand. Unter dem Volke, bei welchem die großen Leidenschaften nur in langen Zwischenräumen hervortreten, machen sich die natürlichen Gefühle öfter vernehmbar. In den höheren Lebensstellungen sind sie vollkommen erstickt, und unter der Maske des Gefühls redet nur der Eigennutz oder die Eitelkeit.
    Von Lausanne aus schrieb ich an meinen Vater, der mir mein Packet schickte und mir vortreffliche Rathschläge ertheilte, die ich nur besser hätte benutzen sollen. Ich habe schon einige Augenblicke unbegreiflichen Wahnsinns aufgezeichnet, in denen ich ein ganz anderer Mensch war. Ich darf jetzt einen noch auffallenderen nicht verschweigen. Um zu erkennen, bis zu welchem Grade ich mich gleichsam venturisirt hatte, braucht man nur zu hören, eine welche Menge Tollheiten ich gleichzeitig beging. Ich gebarte mich als Gesanglehrer, ohne eine Melodie vom Blatte lesen zu können; denn wenn mir auch die sechs Monate, die ich bei Le Maître zugebracht, nützlich gewesen waren, so hätten sie doch noch immer nicht genügen können, aber obendrein hatte ich den Unterricht eines Meisters genossen, und der fällt immer schlecht aus. Pariser aus Genf und Katholik in einem protestantischen Lande, glaubte ich meinen Namen eben so gut wie meine Religion und mein Vaterland wechseln zu müssen. Ich suchte stets meinem großen Vorbilde nach besten Kräften nahe zu kommen. Hatte er sich Venture von Villeneuve genannt, so machte ich aus dem Namen Rousseau das Anagramm Vaussore und nannte mich Vaussore von Villeneuve. Venture konnte componiren; ich rühmte mich dessen gegen jedermann, ohne es zu können, und nicht im Stande, das geringste Gassenlied in Noten zu setzen, gab ich mich für einen Komponisten aus. Das ist noch nicht alles. Nachdem ich einem Herrn von Treytorens, einem Professor der Rechte und Musikfreund, der in seinem Hause Concerte veranstaltete, vorgestellt war, wollte ich ihm eine Probe meines Talentes geben und begann mit einer Dreistigkeit, als hätte ich wirklich etwas davon verstanden, ein Musikstück für ihn aufzusetzen. An diesem schönen Werke hatte ich die Ausdauer vierzehn Tage lang zu arbeiten, die Reinschrift zu besorgen, die Stimmen auszuschreiben und sie mit einer Zuversichtlichkeit zu vertheilen, als wäre es ein Meisterwerk von Harmonie gewesen. Ja, um dieses erhabene Kunstwerk würdig zu krönen, ließ ich es – es klingt unglaublich, ist aber vollkommen wahr – mit einem hübschen Menuet schließen, welches man schon auf allen Gassen hören konnte und dessen sich vielleicht noch alle Welt an den damals so bekannten Worten erinnert:
Quel caprice!
Quelle injustice!
Quoi, ta Clarice
Trahirait tes feux!
     
    Venture hatte mir diese Melodie im Baß mit einem untergelegten zotigen Texte beigebracht, mit dessen Hilfe ich sie behalten hatte. Meine Composition ging also am Schlusse in dieses, im Basse durchgeführte Menuet mit Hinweglassung des Textes über, und ich gab es mit einer Keckheit für mein Machwerk aus, als hätte ich Leuten aus dem Monde diese Ueberzeugung aufdrängen wollen.
    Man versammelt sich, um mein Stück aufzuführen. Ich lege jedem die Beobachtung des Taktes, die Art des Vortrages, die Berücksichtigung der Zeichen an das Herz,

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