Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
Postreisende zum Commandanten geführt werden. Dies konnte einen Menschen, der weder lügen noch seinen Namen ändern wollte, in Verlegenheit bringen. Ich ging mit einem Briefe der Frau von Luxembourg, um Herrn von Villeroy zu bitten, es so einzurichten, daß ich von dieser Frohne befreit würde. Herr von Villeroy gab mir einen Brief, von dem ich keinen Gebrauch machte, weil ich nicht durch Lyon reiste. Dieser Brief befindet sich noch versiegelt unter meinen Papieren. Der Herr Herzog lud mich sehr freundlich ein, in Villeroy zu übernachten; allein ich zog es vor, die Landstraße wiederzugewinnen und legte noch denselben Tag zwei Poststationen zurück.
    Mein Wagen stieß, und ich war zu leidend, um große Tagereisen machen zu können. Außerdem fehlte mir auch jenes gebieterische Auftreten, das überall sofortigen Gehorsam findet, und man weiß, daß in Frankreich die Postpferde die Reitgerte nur auf den Schultern des Postillons fühlen. Durch reichliche Trinkgelder an die Postillone glaubte ich ersetzen zu können, was mir am Benehmen abging; aber damit machte ich es noch schlimmer. Sie hielten mich für einen armseligen Burschen, der im fremden Auftrage reiste und zum ersten Male in seinem Leben die Post benutzte. Von nun an bekam ich nur noch Kracken und wurde das Spielwerk der Postillone. Ich hörte mit dem auf, womit ich hätte anfangen sollen, mit Geduldfassen, Nichtssagen und Gehenlassen, wie es ihnen gefiel.
    Ich hätte mir unterwegs die Langeweile damit verscheuchen können, daß ich mich meinen Betrachtungen über alles, was mir zugestoßen war, überlassen hätte; aber das war weder meine Manier noch meine Herzensneigung. Es ist wunderbar, mit welcher Leichtigkeit ich überstandenes Leid vergesse, so frisch es auch immer sein mag. Wie sehr mich auch die Voraussicht desselben ängstigt und verwirrt, so lange ich es noch vor mir sehe, so schnell verliert sich doch die Erinnerung daran und erlischt, ohne daß ich mir Mühe zu geben brauche, sobald es eingetroffen ist. Meine unerträgliche Einbildungskraft, die sich unaufhörlich abquält, den Uebeln, die noch nicht da sind, vorzubeugen, lenkt mein Gedächtnis ab und hält mich zurück, noch länger an die zu denken, die nicht mehr vorhanden sind. Gegen das Geschehene braucht man keine Vorsichtsmaßregeln mehr zu nehmen und es ist nutzlos, sich damit zu beschäftigen. Gewissermaßen erschöpfe ich mein Unglück schon im voraus: je mehr Leid mir seine Voraussicht bereitet hat, desto leichter wird es mir, es zu vergessen; während ich umgekehrt, unaufhörlich mit meinem verschwundenen Glück beschäftigt, es vor die Seele zurückrufe und mir dasselbe bis zu dem Grade immer wieder vergegenwärtige, daß ich es, wenn ich will, noch einmal genieße. Dieser glücklichen Natur verdanke ich, wie ich recht wohl fühle, daß ich nie die nachtragende Stimmung gekannt habe, die in Folge der beständigen Erinnerung an die empfangenen Beleidigungen in einem rachsüchtigen Herzen gährt und es dadurch selbst mit all dem Bösen plagt, das es seinem Feind anthun möchte. Von Natur aufbrausend habe ich in der ersten Erregung Zorn, ja selbst Muth gefühlt, aber nie hat ein Verlangen nach Rache in mir Wurzel gefaßt. Ich beschäftige mich allzu wenig mit der Beleidigung, um mich viel mit dem Beleidiger zu beschäftigen. An das Leid, das er mir zugefügt hat, denke ich nur um des Leides willen, das er mir noch zufügen kann, und wäre ich sicher, daß ich von ihm keinem neuen ausgesetzt wäre, so wäre das, was er mir angethan, im Augenblicke vergessen. Man predigt uns viel von dem Vergeben der Beleidigungen; es ist ohne Zweifel eine sehr schöne Tugend, von der ich aber keinen Gebrauch machen kann. Ich weiß nicht, ob mein Herz Herr seines Hasses werden könnte, denn ich habe ihn nie gefühlt, und ich denke an meine Feinde zu wenig, um es mir als ein Verdienst anrechnen zu können, ihnen zu vergeben. Ich will nicht darauf hinweisen, wie sehr sie sich selbst quälen, um mich zu quälen. Ich bin ihnen preisgegeben; sie haben alle Macht und benutzen sie. Nur eins steht nicht in ihrer Macht und ich fordere sie dazu heraus, das nämlich, mich zu zwingen, mich um ihretwillen zu quälen, während sie sich um meinetwillen quälen.
    Schon den Tag nach meiner Abreise vergaß ich alles Vorgefallene, sowie das Parlament und Frau von Pompadour und Herrn von Choiseul und Grimm und d'Alembert und ihre Verschwörungen und Mitschuldige so vollkommen, daß ich auf meiner ganzen Reise ohne die

Weitere Kostenlose Bücher