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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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und mein Geld einzuziehen. Wenn man auf Verhaftung erkennt, so ist es Brauch, die Papiere des Verhafteten mit Beschlag zu belegen, sein Eigenthum zu versiegeln, oder das Inventar aufzunehmen und darüber einen Curator zu ernennen. Sie mußte entschieden bleiben, um zu beobachten, was vorginge, und jede Gelegenheit auf das Beste auszunutzen. Ich versprach ihr, daß sie binnen kurzem wieder mit mir zusammentreffen sollte; der Marschall bestätigte ihr mein Versprechen, aber ich wollte ihr nicht sagen, wohin ich ginge, damit sie bei ihrer etwaigen Befragung durch die zu meiner Verhaftung ausgesandten Häscher hierüber ihre Unkenntnis mit Wahrheit versichern könnte. Als ich sie im Augenblicke des Scheidens umarmte, empfand ich in mir eine ganz ungewöhnliche Bewegung und in einer, ach, nur zu prophetischen Aufregung sagte ich zu ihr: »Mein Kind, du mußt dich mit Muth waffnen. Du hast das Glück meiner guten Tage getheilt; da du es nicht anders willst, kannst du nur noch darauf rechnen, mein Elend zu theilen. Erwarte nur noch Schmach und Noth an meiner Seite. Das Schicksal, das mit diesem traurigen Tage für mich anfängt, wird mich bis zu meiner letzten Stunde verfolgen.«
    Jetzt hatte ich nur noch an die Abreise zu denken. Die Gerichtsdiener hatten um zehn Uhr kommen sollen. Es war vier Uhr nachmittags, als ich abreiste, und sie waren noch nicht eingetroffen. Ich sollte, wie wir verabredet hatten, die Post nehmen. Ich besaß keinen Wagen; der Herr Marschall schenkte mir ein Cabriolet und lieh mir Pferde und einen Postillon bis zur nächsten Post, wo man sich in Folge der Maßregeln, die er getroffen hatte, nicht weigerte, mir Pferde zu stellen.
    Da ich an der Mittagstafel nicht teilgenommen und mich im Schlosse überhaupt nicht gezeigt hatte, kamen die Damen, um mir Lebewohl zu sagen, in das Entresol, wo ich mich den Tag über aufgehalten hatte. Die Frau Marschall umarmte mich mehrmals mit einem ziemlich traurigen Gesichte, aber diesen Umarmungen fehlte es, wie ich wohl fühlte, an der Innigkeit und Glut, mit der sie mich vor zwei oder drei Jahren geherzt hatte. Frau von Boufflers umarmte mich gleichfalls und sagte mir sehr schöne Dinge. Mehr überraschte mich die Umarmung der Frau von Mirepoix, denn auch sie war anwesend. Die Frau Marschall von Mirepoix ist eine ungemein kalte, förmliche und zurückhaltende Frau und scheint mir von dem angeborenen Stolze des Hauses Lothringen nicht ganz frei. Sie hatte mir nie viel Beachtung geschenkt. Sei es nun, daß ich mir, von dieser unerwarteten Ehre geschmeichelt, den Werth derselben erhöhen wollte, sei es auch, daß sie in diese Umarmung wirklich etwas von der edlen Herzen natürlichen Theilnahme gelegt hatte, ich fand in ihrem Wesen und in ihrem Blicke etwas zur Festigkeit Mahnendes, das mich wunderbar durchdrang. Wenn ich später daran zurückdachte, habe ich oft vermuthet, daß sie, von dem Schicksale, zu dem ich verurtheilt war, in Kenntnis gesetzt, sich eines Augenblicks der Rührung über mein Loos nicht hatte erwehren können.
    Der Herr Marschall sagte nicht eine Silbe; er war leichenblaß. Er wollte mich durchaus bis an den Wagen begleiten, der mich an der Pferdeschwemme erwartete. Wir durchschritten den ganzen Garten, ohne ein einziges Wort zu reden. Ich besaß einen Schlüssel zum Parke, mit dem ich die Thüre aufschloß; anstatt ihn darauf wieder in die Tasche zu stecken, reichte ich ihm denselben lautlos hin. Er nahm ihn mit sichtlicher Erregtheit, deren ich seit jener Zeit oft habe gedenken müssen. Ich habe in meinem Leben kaum je einen so bittren Augenblick gehabt wie den dieser Trennung. Die Umarmung war lang und stumm; wir fühlten beide: diese Umarmung war ein letztes Lebewohl.
    Zwischen La Barre und Montmorency begegnete ich in einem Fiaker vier schwarzgekleideten Herren, die mich lächelnd grüßten. Nach Theresens späterem Berichte über das Aeußere der Gerichtsdiener, über die Stunde ihrer Ankunft und die Art ihres Benehmens habe ich nicht gezweifelt, daß sie es waren, besonders da ich in der Folge in Erfahrung brachte, daß die Verfügung nicht schon um sieben Uhr, wie man mir angezeigt hatte, sondern erst um Mittag erlassen worden war. Ich mußte mitten durch ganz Paris fahren. Man ist in einem offenen Cabriolet nicht sehr verborgen. Auf den Straßen sah ich mehrere Personen, die mich wie bekannt grüßten, aber ich erkannte keine. Gegen Abend änderte ich die Richtung, um den Weg über Villeroy einzuschlagen. In Lyon müssen nämlich

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