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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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nie Zeuge eines ähnlichen gewesen. Nach einem Strome der gemeinsten Beleidigungen beschuldigte er mich, als er nichts mehr zu sagen wußte, den Schlüssel zu seiner Chifferschrift verkauft zu haben. Ich fing zu lachen an und fragte ihn in spöttischem Tone, ob er sich einbildete, daß in ganz Venedig ein Mensch albern genug wäre, auch nur einen Thaler dafür zu geben. Diese Antwort versetzte ihn in schäumende Wuth. Er that, als ob er seine Leute herbeirufen wollte, um mich, wie er sagte, zum Fenster hinaus werfen zu lassen. Bis dahin war ich sehr ruhig gewesen; bei dieser Drohung bemächtigten sich jedoch Zorn und Unwillen meiner ebenfalls. Ich stürzte zur Thüre und, nachdem ich sie von innen verriegelt hatte, schritt ich ernst auf ihn zu und sagte: »Nein, Herr Graf, Ihre Leute werden sich nicht in diese Angelegenheit mischen; wir werden sie mit Ihrer Erlaubnis unter uns ausmachen.« Mein Auftreten und meine Miene beschwichtigten ihn augenblicklich; Ueberraschung und Schrecken prägten sich in seiner Haltung aus. Als ich sah, daß sich seine Wuth gelegt hatte, sagte ich ihm in wenigen Worten Lebewohl; darauf öffnete ich, ohne seine Antwort abzuwarten, wieder die Thür, ging hinaus und schritt langsam mitten durch die im Vorzimmer versammelten Leute, die mir, wie ich glaube, lieber gegen ihn als ihm gegen mich beigestanden hätten. Ohne erst in mein Zimmer hinaufzugehen, stieg ich sofort die Treppe hinab und verließ auf der Stelle den Palast, um ihn nicht mehr zu betreten.
    Ich ging geradeswegs zu Herrn Le Blond, um ihm den Vorfall zu erzählen. Er zeigte sich darüber wenig überrascht; er kannte seinen Mann. Ich mußte zum Essen bei ihm bleiben. So unvorbereitet dieses Gastmahl auch war, so fiel es doch glänzend aus; alle Franzosen von Ansehen, die sich in Venedig aufhielten, fanden sich dazu ein; bei dem Gesandten ließ sich keine Seele sehen. Der Consul erzählte der Gesellschaft, wie es mir ergangen. Dieser Bericht wurde nur mit einem Schrei aufgenommen, der nicht zu Gunsten Seiner Excellenz hervorbrach. Der Graf hatte mein Guthaben nicht berichtigt, mir nicht einen Sou gegeben, und da sich meine Hilfsmittel auf einige Goldstücke, die ich bei mir trug, beschränkten, so war ich wegen meiner Heimkehr in Verlegenheit. Alle Börsen wurden mir zur Verfügung gestellt. Ich nahm ungefähr zwanzig Zechinen von Herrn Le Blond und eine gleichgroße Summe von Herrn von Saint-Cyr an, mit welchem ich nächst jenem am befreundetsten war. Allen Uebrigen dankte ich, und um öffentlich an den Tag zu legen, daß die Nation keine Mitschuld an den Ungerechtigkeiten des Gesandten hätte, wohnte ich bis zu meiner Abreise bei dem Kanzler des Consulats. Wüthend darüber, mich in meinem Unglück gefeiert zu sehen, und trotz seiner hohen Stellung selbst verlassen dazustehen, verlor Graf Montaigu völlig den Kopf und benahm sich wie ein Unsinniger. Er vergaß sich so weit, in einer Eingabe meine Verhaftung bei dem Senate zu beantragen. In Folge des Winkes, den mir der Abbé von Binis gab, entschloß ich mich, noch vierzehn Tage zu bleiben, anstatt, wie ich mir vorgenommen hatte, schon am zweiten Tage abzureisen. Man hatte meine Aufführung gesehen und gebilligt; ich wurde allgemein geschätzt. Die Signoria würdigte die wunderliche Eingabe des Gesandten nicht einmal einer Antwort und ließ mir durch den Consul sagen, ich könnte in Venedig, so lange es mir gefiele, bleiben, ohne mich über die Schritte eines Narren zu beunruhigen. Ich fuhr fort, meine Freunde zu besuchen und nahm von dem spanischen Gesandten, der mich sehr gut aufnahm, sowie von dem Grafen von Finochietti, dem neapolitanischen Gesandten, Abschied. Da ich letzteren nicht traf, schrieb ich an ihn, und er antwortete mir in der verbindlichsten Weise von der Welt. Endlich reiste ich ab und ließ trotz meiner Geldverlegenheit keine andern Schulden als die eben erwähnten Darlehen zurück und vielleicht fünfzig Thaler bei einem Kaufmann, Namens Morandi, welche Carrio zu berichtigen übernahm und die ich ihm nie zurückgezahlt habe, obgleich wir uns seitdem öfters wiedergesehen. Was jedoch jene beiden Darlehen anlangt, so habe ich sie ganz pünktlich abgetragen, sobald es mir möglich war.
    Wir wollen nicht von Venedig scheiden, ohne ein Wort von den berühmten Lustbarkeiten dieser Stadt zu sagen oder wenigstens von dem sehr geringen Antheil, den ich während meines dortigen Aufenthalts daran nahm. Man hat gesehen, wie wenig ich im Verlaufe meiner Jugend den Freuden

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