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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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dieses Alters oder wenigstens dem, was man so nennt, nachgegangen bin. Mein Geschmack änderte sich zwar in Venedig nicht, aber meine Beschäftigungen, die mich sonst von ihnen zurückgehalten hätten, machten die einfachen Erholungen, die ich mir gestattete, desto reizender. Die vorzüglichste und mir angenehmste war der gesellige Verkehr mit geistreichen und angesehenen Männern, den Herren Le Blond, von Saint-Cyr, Carrio, Altuna und einem Forlaneser [Fußnote: Mit diesem Namen bezeichnet man die Bewohner Friauls; er rührt von einem Tanze Namens Forlane her.] Edelmann, dessen Namen ich zu meinem großen Bedauern vergessen habe und dessen Liebenswürdigkeit ich nie ohne Rührung gedenke. Von allen Menschen, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe, glich er mir dem Herzen nach am meisten. Wir waren auch mit zwei oder drei Engländern voll Geist und Bildung befreundet, die für die Musik eben so eingenommen waren wie wir. Alle diese Herren hatten ihre Frauen oder ihre Freundinnen oder ihre Geliebten; diese letzteren waren fast alle talentvolle Mädchen, bei welchen man musicirte oder tanzte. Man spielte dort auch wohl, aber sehr wenig, lebhafter Kunstsinn, mancherlei Talente und Vorliebe für das Theater machten uns diese Unterhaltung ungenießbar. Zum Spiele nehmen nur Leute, die sich langweilen, ihre Zuflucht. Von Paris hatte ich das Vorurtheil, welches man in jener Stadt gegen die italienische Musik hegt, mitgebracht, allein ich hatte auch von der Natur diese Reinheit des Gefühls erhalten, gegen die Vorurtheile nicht Bestand haben. Ich empfand für diese Musik bald die Leidenschaft, die sie allen Urteilsfähigen einflößt. Als ich Barcarolen hörte, begriff ich, daß ich bis dahin noch keinen rechten Gesang gehört hatte, und bald schwärmte ich für die Oper dergestalt, daß mich, der ich nur hören wollte, das Plaudern, Essen und Spielen in den Logen anwiderte, und ich mich oft von meiner Gesellschaft entfernte, um mir einen andern Platz zu suchen. Dort gab ich mich dann, ganz allein in meiner Loge eingeschlossen, trotz der Länge der Vorstellung dem Vergnügen hin, sie ungestört bis ans Ende zu genießen. Eines Tages schlief ich im Theater San Crysostomo ein und schlief weit fester, als ich im Bette gethan haben würde. Die rauschenden und glänzenden Arien weckten mich nicht; aber wer vermöchte die liebliche Empfindung zu beschreiben, mit der mich die süße Harmonie und der himmlische Gesang, der mich erweckte, erfüllten! Welches Erwachen, welches Entzücken, welche Begeisterung, als ich gleichzeitig Ohr und Auge öffnete! Ich wähnte mich im ersten Augenblicke in das Paradies versetzt. Die entzückende Stelle, deren ich mich noch erinnere und die ich mein Leben lang nicht vergessen werde, begann folgendermaßen:
Conservami la bella
Che si m'accende il cor.
     
    Ich wollte diese Arie durchaus haben; ich bekam sie und habe sie lange aufbewahrt, aber auf meinem Papiere stand sie nicht wie in meinem Gedächtnisse. Es waren wohl dieselben Noten, aber nicht derselbe Klang. Nur in meinem Kopfe kann diese göttliche Melodie so aufgeführt werden, wie sie es in Wirklichkeit an jenem Tage wurde, als sie mich erweckte.
    Eine Musik, die nach meinem Geschmack alle Opernmusik sehr übertrifft und weder in Italien noch in der ganzen übrigen Welt ihres Gleichen hat, ist die der Scuole. Die Scuole sind Armenhäuser, eine Art Unterrichtsanstalten für mittellose junge Mädchen, denen die Republik später bei ihrer Verheirathung oder bei ihrem Eintritt in ein Kloster eine Ausstattung giebt. Unter den Talenten, die man bei diesen jungen Mädchen ausbildet, nimmt die Musik den ersten Rang ein. Alle Sonntage kommen in jeder der zu diesen vier Scuolen gehörenden Kirchen während der Nachmittagsgottesdienste Motetten mit großem Chor und großem Orchester zur Aufführung, componirt und geleitet von den größten Meistern Italiens und vorgetragen auf vergitterten Tribünen ausschließlich von Mädchen, von denen die älteste noch nicht zwanzig Jahre zählt. Ich kann mir nichts so Liebliches, nichts so Rührendes wie diese Musik vorstellen. Die bewunderungswürdigen Leistungen der Kunst, die vortreffliche Wahl der Gesänge, die Schönheit der Stimmen, die vollendete Sicherheit der Aufführung, alles wirkt in diesen entzückenden Concerten zusammen, einen Eindruck hervorzurufen, von dem die Welt gar nichts wissen will, gegen den sich aber schwerlich ein Menschenherz verschließen kann. Carrio und ich, wir versäumten nie

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