Rousseau's Bekenntnisse
absichtlichen Beleidigungen hochfahrend und rücksichtslos war, Anstand und Würde bei allem, was Schicklichkeit erheischte, liebte, und nicht weniger anspruchsvoll die mir gebührende Achtung verlangte, als ich bereit war, andern die ihnen gebührende zu erweisen. Dies suchte er als Handhabe zu benutzen und gelangte auch damit zum Ziele. Er kehrte im Hause das Unterste zu oberst; er entfernte daraus, was ich darin von Ordnung, Zucht, Sauberkeit und Regelmäßigkeit zu erhalten bestrebt gewesen war. Ein Haus ohne Frau bedarf einer etwas strengen Zucht, um der von der Würde unzertrennlichen Einfachheit die Herrschaft zu sichern. Er machte aus dem unsrigen bald eine Stätte der Schwelgerei und Liederlichkeit, ein Nest voll Spitzbuben und Wüstlingen. An Stelle des zweiten Edelmannes, dessen Entlassung er herbeigeführt hatte, gab er Seiner Excellenz einen eben so großen Schurken, wie er war, der ein öffentliches Bordell zum »Malteserkreuz« hielt; und diese beiden Schufte, die Hand in Hand mit einander gingen, waren eben so schamlos wie unverschämt. Außer dem Zimmer des Gesandten, in welchem auch nicht allzu große Ordnung herrschte, gab es keinen für einen anständigen Mann erträglichen Winkel im Hause.
Da Seine Excellenz nicht zu Abend speiste, hatte ich mit den Edelleuten des Abends eine besondere Tafel, zu welcher auch der Abbé von Binis und die Pagen herangezogen wurden. In der elendesten Garküche wird man reinlicher, anständiger, auf weniger unsauberem Tischtuche und mit reichlicheren und besseren Speisen bedient. Man gab uns ein einziges kleines, sehr dunkel brennendes Talglicht, zinnerne Teller und eiserne Gabeln. Was im Verborgenen geschah, hätte ich mir noch gefallen lassen, aber man entzog mir meine Gondel; unter allen Gesandtschaftssecretären war ich allein genöthigt, mir eine zu miethen oder zu Fuß zu gehen, und die Dienerschaft Seiner Excellenz stand mir nur noch zur Verfügung, wenn ich zum Senate ging. Uebrigens blieb von den Vorfällen in unserm Hause in der Stadt nichts verschwiegen. Alle Beamte des Gesandten erhoben lautes Geschrei. Dominico, die einzige Veranlassung von allem, schrie am lautesten, da er wohl wußte, daß die Rücksichtslosigkeit, mit der wir behandelt wurden, mir empfindlicher als allen Uebrigen war. Ich allein erzählte außer dem Hause nie etwas; aber ich beschwerte mich lebhaft bei dem Gesandten wie über alles andere, so auch über ihn selbst, der, heimlich von seinem Dämon angetrieben, mir täglich eine neue Kränkung zufügte. Zu großen Ausgaben gezwungen, um standesgemäß und wie meine Collegen zu leben, konnte ich keinen Sou von meinem Gehalte von ihm herausbekommen; forderte ich von ihm Geld, so sprach er mir von seiner Achtung und seinem Vertrauen, als hätte dies meinen Beutel füllen und für alles ausreichen müssen.
Endlich brachten es die beiden Schufte dahin, ihrem Herrn völlig den Kopf zu verdrehen, der ihm schon immer nicht auf der rechten Stelle gesessen hatte, und richteten ihn durch fortwährende schwindelhafte Ankäufe zu Grunde, bei denen sie ihm vorredeten, daß er die andern übervortheilt hätte. Sie ließen ihn an der Brenta einen Palast für das Doppelte des Werthes miethen, wobei sie den Ueberschuß mit dem Besitzer theilten. Die Zimmer desselben waren mit Mosaik ausgelegt und nach der Landessitte mit Säulen und Wandpfeilern von sehr schönen Marmorarten ausgeschmückt. Herr von Montaigu ließ das alles mit einem Getäfel von Tannenholz prächtig überkleiden, aus dem einzigen Grunde, weil in Paris die Gemächer so getäfelt sind. Aus ähnlichem Grunde entzog er unter allen Gesandten in Venedig allein seinen Pagen den Degen und seinen Dienern den Stock. So war der Mensch beschaffen, der vielleicht immer aus dem nämlichen Grunde mich nicht leiden konnte, einzig und allein im Hinblick darauf, daß ich ihm zu treu diente.
Ich hielt geduldig seine Geringschätzung, seine Rohheit und seine schlechte Behandlung aus, so lange ich darin nur üble Launen und keinen Haß zu erkennen glaubte: sobald ich aber darin die bewußte Absicht sah, mich um die Achtung zu bringen, die ich um meiner guten Dienstführung willen verdiente, war ich entschlossen, auf meine Stellung zu verzichten. Den ersten Beweis seines Uebelwollens erhielt ich gelegentlich eines Festmahls, welches er dem Herzog von Modena und seiner Familie, die sich in Venedig befanden, geben wollte, und an dem ich laut seiner Ankündigung nicht Theil nehmen sollte. Ich erwiderte
Weitere Kostenlose Bücher