Rousseau's Bekenntnisse
über meinen Gesundheitszustand, eher darüber unruhig war, ob auch ich für sie gesund genug wäre; und ich bin völlig überzeugt, daß mich mein Vertrauen in dieser Hinsicht nicht täuschte.
Diese so rechtzeitig angebrachten Ueberlegungen regten mich dergestalt auf, daß mir die Thränen aus den Augen strömten. Zulietta, welcher dies sicherlich ein in dieser Lage ganz neues Schauspiel war, wurde einen Augenblick betreten. Aber nachdem sie einmal einen Gang durch das Zimmer gemacht und dabei an ihrem Spiegel vorübergeschritten war, begriff sie, und meine Augen bestätigten es ihr, daß Widerwille an dieser Grille keinen Antheil hätte. Es wurde ihr nicht schwer, dieselbe zu verscheuchen und diese kleine Beschämung zu vergessen; aber als ich eben in Begriff stand, ermattet auf diesen Busen zu sinken, der zum ersten Male den Mund und die Hand eines Mannes zu dulden schien, gewahrte ich, daß ihre eine Brust keine Warze hatte. Ich erschrecke, sehe genau hin und glaube zu bemerken, daß diese Brust nicht wie die andere gebildet ist. Sofort sinne ich nach, wie man eine Brust ohne Warze haben könne, und überzeugt, daß es von irgend einem bedeutenden Naturfehler herrühren müßte, hänge ich diesem Gedanken so lange nach, bis es mir klar wie der Tag wird, daß ich in der reizendsten Person, die ich mir vorzustellen vermochte, nur eine Art Ungeheuer in meinen Armen hielt, den Abschaum der Natur, der Menschen und der Liebe. Ich trieb die Dummheit so weit, von dieser warzenlosen Brust mit ihr zu reden. Anfangs nahm sie die Sache scherzhaft auf, und in ihrer muthwilligen Laune sagte und that sie Dinge, daß mich die Liebe hätte tödten müssen; da aber noch immer ein Rest von Unruhe in mir zurückgeblieben war, den ich ihr nicht verheimlichen konnte, sah ich, wie sie endlich erröthete, ihre Kleider wieder in Ordnung brachte, sich erhob und sich, ohne ein einziges Wort zu sagen, an das Fenster setzte. Ich wollte mich an ihre Seite setzen, sie entfernte sich, ließ sich auf einem Ruhebette nieder, stand schon den nächsten Augenblick wieder auf, und indem sie sich Luft zufächelnd im Zimmer auf und ab ging, sagte sie zu mir mit kaltem und verächtlichem Tone: »Zanetto, lascia le donne, et studia la matematica.«
Ehe ich sie verließ, bat ich sie um eine Zusammenkunft am nächsten Tage, die sie auf den dritten Tag verschob, indem sie mit einem ironischen Lächeln hinzufügte, Ruhe müßte mir ja ein Bedürfnis sein. Ich verbrachte diese Zeit in großer Unruhe, das Herz voll von ihren Reizen und ihrer Anmuth. Ich war mir meiner Albernheit bewußt und machte sie mir zum Vorwurfe, bedauerte die so übel angewandten Augenblicke, die ich zu den süßesten meines Lebens hätte machen können und sehnte mit lebhaftester Ungeduld die Stunde herbei, wo ich das Verlorene wieder gut machen könnte, und nichtsdestoweniger noch immer unruhig, wie sich die unvergleichlichen Eigenschaften dieses anbetungswürdigen Mädchens mit der Unwürdigkeit ihres Gewerbes in Einklang bringen ließen. Ich lief, ich flog zu der verabredeten Stunde zu ihr. Ich weiß nicht, ob ihr feuriges Temperament mit diesem Besuche zufriedener gewesen wäre, ihr Stolz wenigstens zuverlässig, und ich fand schon im voraus einen köstlichen Genuß darin, ihr auf alle Weise zu zeigen, wie ich mein Unrecht wieder gut zu machen wüßte. Sie ersparte mir diesen Beweis. Der Gondolier, den ich nach der Landung zu ihr hinaufschickte, berichtete mir, sie wäre schon den Tag vorher nach Florenz zurückgereist. Wenn ich meine ganze Liebe zu ihr nicht bei ihrem Besitz empfunden hatte, so fühlte ich sie gar schmerzlich jetzt bei ihrem Verlust. Mein unverständiges Bedauern hat mich nie verlassen. So liebenswürdig und reizend sie in meinen Augen auch war, konnte ich mich über ihren Verlust zwar trösten; worüber ich mich indessen nicht beruhigen konnte, das ist, wie ich gestehe, das quälende Gefühl, daß sie nur eine verächtliche Erinnerung meiner mit fortgenommen hat.
Das sind meine zwei Geschichten. Die achtzehn Monate, die ich in Venedig gelebt, haben mir nicht mehr Mittheilungswerthes gebracht; höchstens verdiente noch ein bloser Plan der Erwähnung. Carrio liebte die Frauen; überdrüssig, immer nur zu Mädchen zu gehen, die bereits an andere gefesselt waren, kam er auf den Einfall, auch an seine Person eins zu ketten; und da wir unzertrennlich waren, schlug er mir das in Venedig gar nicht seltene Abkommen vor, eins für uns beide zu unterhalten. Ich ging
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