Rousseau's Bekenntnisse
des Herrn von Montaigu festzustellen. Ich hatte mir aus Paris eine kleine Kiste, deren Inhalt in einer goldgestickten Weste, einigen Paar Manschetten und sechs Paar weißseidenen Strümpfen und in nichts Weiterem bestand, kommen lassen. Auf den Vorschlag, den er mir selbst machte, ließ ich diese Kiste oder vielmehr dieses Kistchen, zu seinem Gepäck legen. In der Apothekerrechnung, die er mir als Zahlung meines Gehaltes einhändigen wollte und die er mit eigener Hand geschrieben hatte, befand sich der Vermerk, daß dieses Kistchen, welches er Ballen nannte, elf Zentner wöge, und er hatte mir deshalb das Porto zu einem unerhörten Preise angesetzt. Durch die Bemühung des Herrn Bois de la Tour, dem mich sein Oheim, Herr Roguin, empfohlen hatte, wurde nach den Douanenlisten zu Lyon und Marseille der Nachweis geführt, daß der in Rede stehende Ballen nur fünfundvierzig Pfund wog, und das Porto auch nur diesem Gewichte gemäß berechnet war. Diese amtlichen Urkunden fügte ich der Nennung des Herrn Montaigu bei und mit diesen wie mit einigen anderen Beweisstücken von gleicher Wichtigkeit versehen, begab ich mich nach Paris voll größter Ungeduld, von ihnen Gebrauch zu machen. Auf dieser ganzen langen Reise hatte ich zu Como im Wallis und auch sonst noch kleine Abenteuer. Ich sah mancherlei, unter andern die borromeischen Inseln, die eine besondere Beschreibung verdienten; aber es mangelt an Zeit, Spione umlagern mich, ich bin genöthigt, eine Arbeit, die Muße und Geistesruhe, die mir fehlen, verlangt, schnell und schlecht zu machen. Wenn die Vorsehung mir ihre Blicke je wieder zuwenden und endlich ruhigere Tage schenken sollte, so gedenke ich sie, wenn ich dazu im Stande bin, zur neuen Bearbeitung dieses Werkes oder wenigstens zu einem Nachtrage desselben anzuwenden, dessen es, wie ich fühle, sehr bedarf. [Fußnote: Ich habe diesen Plan aufgegeben. – (Diese Anmerkung befindet sich nicht in dem Original-Manuscripte.)]
Das Gerücht von meiner Geschichte war mir vorausgeeilt, und bei meiner Ankunft überzeugte ich mich, daß in den Bureaux wie im Publikum alle Welt über die Tollheiten des Gesandten entrüstet war. Trotz dem allen, trotz der öffentlichen Stimme in Venedig, trotz der unwiderleglichen Beweise, die ich beibrachte, vermochte ich nicht Gerechtigkeit zu erlangen. Weit davon entfernt, Genugthuung oder Entschädigung zu erhalten, wurde ich sogar hinsichtlich meines Gehaltes dem Belieben des Gesandten überlassen, und zwar einzig und allein deshalb, weil ich als Fremdling kein Recht auf den Nationalschutz hätte und es sich nur um eine Privatangelegenheit zwischen ihm und mir handelte. Alle Welt stimmte mir darin bei, daß ich gekränkt, verkürzt, um das Meine gebracht wäre, daß der Gesandte überspannt, böse und ungerecht sein müßte und ihn diese Geschichte für immer entehrte. Aber was half mir das? Er war der Gesandte und ich nur der Secretär. Die einmal bestehende Ordnung, oder was man so nennt, brachte es mit sich, daß ich keine Gerechtigkeit erlangen durfte, und ich erlangte keine. Ich bildete mir ein, daß man mir, wenn ich gewaltigen Lärm schlüge und diesen Narren öffentlich, wie er es verdiente, behandelte, endlich Schweigen auferlegen würde, und das erwartete ich, fest entschlossen, erst nach gefälltem Urtheile zu gehorchen. Aber es gab damals keinen Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Man ließ mich schreien, man ermuthigte mich sogar dazu, man stimmte ein, aber die Geschichte blieb immer auf dem nämlichen Flecke, bis ich endlich, überdrüssig immer nur Recht und nie Gerechtigkeit zu bekommen, den Muth verlor und alles aufgab.
Die einzige Person, die mich nicht artig aufnahm, und von der ich diese Ungerechtigkeit am wenigsten erwartet haben würde, war Frau von Beuzenval. Ganz voll von den Standes- und Adelsvorrechten, war ihr der Gedanke unfaßbar, daß ein Gesandter gegen seinen Secretär Unrecht haben könnte. Diesem Vorurtheile entsprach der Empfang, den ich bei ihr fand. Ich fühlte mich über denselben so verletzt, daß ich ihr, nachdem ich ihr Haus verlassen hatte, sofort einen der stärksten und heftigsten Briefe schrieb, der vielleicht je aus meiner Feder geflossen ist, [Fußnote: Folgendes Fragment dieses Briefes wird von Herrn Musset-Pathay angeführt: »Ich habe Unrecht, gnädige Frau, ich habe mich geirrt. Ich hielt Sie für gerecht; Sie sind von Adel, dessen hätte ich eingedenk sein sollen; ich hätte einsehen müssen, daß es für mich, einen Plebejer,
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