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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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frische Luft ein, konnten die Umgegend überschauen, die in ihr Umherwandernden sehen und, obwohl wir im vierten Stock wohnten, auf die Straße hinabblicken. Wer vermag den Reiz dieser Mahlzeiten zu schildern und zu empfinden, deren sämmtliche Gerichte aus einem Viertellaib groben Brotes, einigen Kirschen, einem Stückchen Käse und aus einem halben Schoppen Wein, den wir gemeinschaftlich tranken, bestanden? Freundschaft, Vertrauen, Innigkeit, Seelenruhe, wie lieblich sind eure Reize! Bisweilen blieben wir bis Mitternacht dort, ohne daran zu denken und auch nur zu ahnen, wie spät es wäre, wenn uns nicht die alte Mama daran erinnert hätte. Aber übergehen wir diese Einzelheiten, die zu thöricht oder lächerlich erscheinen werden; ich habe es stets gefühlt und behauptet: der wahre Genuß läßt sich nicht schildern.
    Ungefähr um die nämliche Zeit hatte ich einen gröberen, den letzten dieser Art, den ich mir vorzuwerfen gehabt habe. Ich habe erwähnt, daß der Prediger Klüpffell liebenswürdig war; meine Verbindung mit ihm war nicht weniger innig als die mit Grimm und nahm einen gleich vertraulichen Charakter an. Beide speisten mitunter bei mir. Diese etwas mehr als einfachen Mahlzeiten wurden durch die feinen und tollen Späße Klüpffells und die drolligen Germanismen Grimms, der noch nicht Purist geworden war, erheitert. Die sinnlichen Genüsse herrschten bei unsern kleinen Orgien nicht vor; aber die Fröhlichkeit gewährte Ersatz, und wir befanden uns zusammen so wohl, daß wir nicht mehr ohne einander sein konnten. Klüpffell hatte einem jungen Mädchen eine Wohnung ausmöblirt, das sich trotzdem [Fußnote: Var. ... das sich trotzdem nach Uebereinkunft etc.] nach wie vor jedermann hingab, da er nicht im Stande war, es allein zu unterhalten. Als wir eines Abends in ein Café traten, fanden wir ihn eben im Begriff, es zu verlassen, um mit ihr zum Abendessen zu gehen. Wir zogen ihn auf; er rächte sich artigerweise dadurch, daß er uns gleichfalls zu dem Abendessen einlud und uns darauf seinerseits aufzog. Dieses arme Wesen kam mir ziemlich gutmüthig, sehr sanft und für ihr Geschäft, zu dem sie eine Hexe, die sie bei sich hatte, nach Kräften anlernte, wenig geschaffen vor. Das Gespräch und der Wein erheiterten uns bis zu dem Grade, daß wir uns vergaßen. Der gute Klüpffell wollte den gefälligen Wirth nicht halb spielen, und wir verweilten alle drei hinter einander mit der armen Kleinen, die nicht wußte, ob sie lachen oder weinen sollte, eine Zeit lang in dem Nebenzimmer. Grimm hat stets behauptet, daß er sie nicht berührt hätte; dann kann er blos, um sich an unserer Ungeduld zu belustigen, so lange mit ihr fortgeblieben sein. Enthielt er sich ihrer wirklich, so ist es schwerlich aus Gewissensbedenken geschehen, da er vor seinem Eintritt bei dem Grafen von Friesen in demselben Stadtviertel Saint-Roche bei Mädchen wohnte.
    Ich schied aus der Straße Des Moineaux, in der dieses Mädchen wohnte, so beschämt, wie Saint-Preux aus dem Hause schied, in dem man ihn berauscht hatte, und ich gedachte meiner Geschichte recht lebhaft, als ich die seinige schrieb. An irgend einem Zeichen und besonders an meiner verlegenen Miene merkte Therese, daß ich mir etwas vorzuwerfen hatte; ich erleichterte mein Gewissen durch eine offene und augenblickliche Beichte. Ich that wohl daran, denn schon am folgenden Tage erschien Grimm im Triumphe, um ihr unter vielen Uebertreibungen meine Schandthat zu erzählen, und seitdem hat er nie verabsäumt, die Erinnerung daran boshafterweise immer wieder in ihr wachzurufen, was um so unverzeihlicher war, da ich, nachdem ich ihm meine Verhältnisse frei und offen bekannt hatte, mit Recht von ihm erwarten durfte, daß er mich dies nicht würde bereuen lassen. Niemals überzeugte ich mich besser von der Herzensgüte meiner Therese als bei dieser Gelegenheit, denn sie war durch Grimms Betragen mehr gekränkt als durch meine Untreue beleidigt, und sie machte mir ihrerseits nur rührende und zärtliche Vorwürfe, in denen ich nie die geringste Spur von Unwillen wahrnahm.
    Die Geisteseinfalt dieses ausgezeichneten Mädchens war eben so groß wie ihre Herzensgüte, damit ist alles gesagt; ein Beispiel derselben, das mir gerade einfällt, verdient jedoch erzählt zu werden. Ich hatte ihr gesagt, Klüpffell wäre Prediger und Kaplan des Prinzen von Sachsen-Gotha. Ein Prediger war für sie ein so ausgezeichneter Mann, daß sie in komischer Verwechselung der einander widerstreitendsten

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