Roxelane
Schwester. Er spielte sparsam in der Bewegung und mit scharfer Berechnung. Dabei hatte er immer noch Zeit zu einem heiteren Wort, das zündete, ohne zu verletzen. Gerade in Dschihangir war der Mutter Geist und Anmut so sehr zugegen, daß man seine Höcker kaum noch bemerkte.
Einige wenige Augenblicke wurde Roxelane vom Spiel selbst mit fortgerissen.
Doch dann erschien Esma bei den Kindern.
Dschihangir bemerkte sie zuerst, begrüßte sie durch einen Zuruf zwischen zwei Schlägen und lief nach Beendigung des Gangs sofort zu ihr hin.
Er war ihr Liebling und vergalt ihr das mit der ganzen Zärtlichkeit, wie er sie auch seinen Eltern entgegenbrachte.
Roxelanes andere Kinder freuten sich ebenfalls des Besuchs.
Mirmah, die fast schon so groß wie Esma war, zeigte das auf eine beschützerische Art, und nur Selim verdarb die damenhaften Bemühungen der Schwester, indem er seine kleine Tante in die Höhe zu heben versuchte. Das aber wollten wieder die anderen nicht zugeben, und so balgte sich denn bald ein lachender Knäuel von Damenhosen und Knabenbeinen, mit ein paar Köpfen und Armen untermischt, auf dem Rasen.
Die Kinder waren unter sich, und Tante Esma war auch noch ein Kind, ein Spielgenosse, ein Kamerad.
Nichts entging Roxelane.
,Die Kinder lieben sie', dachte sie verzweifelt, ,sie lieben sie, und ich liebe sie auch! Ich kann es nicht tun!'
„Oh, Dede Semid, ich kann es nicht tun!“ rief sie laut, als die Obersthofmeisterin eintrat.
„Was kannst du nicht?“ fragte die Freundin.
„Blick hinaus!“ befahl Roxelane.
Dede Semid tat es.
„Ich sehe Kinder“, sagte sie dann, „deine Kinder!“
„Siehst du nicht Esma?“
„Ich sehe die Sultana“, nickte Dede Semid. „Sie ist heiter. Sie lacht. Aber ich sehe auch Knaben. Deine Knaben!“
Roxelane stöhnte.
Doch Dede Semid war unerbittlich.
„Esma Sultana geruhen glücklich zu sein“, sagte sie, „und Ich zweifle nicht, daß sie jeden Grund dazu hat. Eure kaiserliche Hoheit werden alle Sorgen von ihr genommen haben. Unbeschwert sieht sie der Heimkehr ihres Gatten entgegen und wird sich seiner ohne einen Nebengedanken erfreuen können. Das alles muß so sein und ist gut so. Aber darüber dürfen Eure Hoheit nicht vergessen, daß Esma Sultana ihren Gatten anbeten wird, was auch immer geschehen mag. Vielleicht würde es ihr Kummer bereiten, falls es Ibrahim Pascha gelingen sollte, Eure Hoheit mit Seiner Majestät zu entzweien. Ich bin sogar überzeugt, daß sie einer etwaigen Nachfolgerin nicht dieselben freundlichen Gefühle entgegenbringen würde wie Ihnen . . .“
„Du haßt sie, Dede Semid! Widersprich mir nicht! Du bist eifersüchtig auf sie!“
Dede Semid blieb kalt.
„Und wenn Ich sie haßte und wenn ich eifersüchtig auf sie wäre, so hinderte das nicht, daß ich die Wahrheit spreche. Ich weiß, daß ich nicht ungerecht bin.“
„Du bist grausam!“
„Ich liebe dich“, erwiderte Dede Semid, „und ich werde solange grausam sein, bis du es sein wirst, wo du es sein mußt! Du weißt, wie es sein würde, wenn Ibrahim alles gelungen wäre, was er gegen dich
vorhat. Du wärst dann abgesetzt und verbannt. Eines Tages stirbt Soliman. Mustafa besteigt durch Ibrahims Gnade den Thron, und Saffieje wird Walide. Deine Kinder aber...“
„Schweig!“
„Roxelane“, drang Dede Semid in sie, „habe ich dir einmal gesagt, daß Ich etwas davon weiß, wie sich die Stummen verständigen? Als Kiajai Harem muß ich das wissen, muß Ich ihre Blicke aus den Augenwinkeln, ihre Lippen- und Fingerzeichen verstehen. Und ich sprach mit einem. Er war auf Rhodos und dabei.. .“
„Ich bitte dich, schweig . . .! “
„Er war dabei, als die beiden Sultane erdrosselt wurden. Er sagte. . .“
„Ich kann es nicht hören! Ich schlage dich, schlage dich, wenn du nicht schweigst!“
„Schlage mich!“ rief Dede Semid und umklammerte Roxelanes Knie. „Nimm mich, sei grausam; aber sei auch hart. Du mußt hart sein! Wenn deine Söhne erdrosselt wären, würde man sie feierlich mit Staatsturbanen und Ehrensäbeln bestatten, die Wesire würden sie tragen, und Sultan Mustafa würde an ihren Gräbern die vorgeschriebenen Tränen vergießen und beten. Und was würde Esma Sultana tun? Auch sie würde weinen und aus ganzem Herzen - das räume ich ihr ein. Wenn aber Ibrahim nach der Zeremonie zu ihr käme, würde sie sich ihm öffnen wie die Blume dem Tau. Und einer solchen kläglichen Idylle zuliebe willst du dein eigenes Fleisch und Blut.. .“ Dede Semid
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