Roxelane
darum nicht. Sie dachte nicht mehr nur an ihre Söhne, sie dachte an Hafsa Chatuns Vermächtnis, sie dachte an Soliman. Es ging um ihn selbst!
Auch Soliman schien zu einem Entschluß gekommen zu sein. „Churrem“, bat er, „kannst du mir nicht vertrauen, wenn Ich sage, daß du nicht alles weißt?“
„Ich weiß, daß der Ankläger dem Defterdar vorwarf, ein Dieb zu sein. Aber ich glaube es so wenig wie dein Heer und dein Volk, so wenig wie du selbst daran glaubst.“
„Churrem! Du weißt nicht alles!“ beteuerte Soliman noch einmal. „Ich soll dir vertrauen“, fuhr Roxelane aber fort. „Oh, mein Mann,
ich vertraue dir, auch ohne zu wissen. Doch vor allem muß das Volk dir vertrauen. Tut es das? Antworte dir selbst. Warum kehrt Chaireddin nicht mit der Flotte zurück?“
„Weil er ein Spießgeselle Iskenders war und die Strafe fürchtet!“ rief Soliman.
Roxelane sah ihn groß an.
Diese Antwort hatte sie von Soliman nicht erwartet.
Ernst und gütig faßte er ihre Hände.
„Du hast recht“, sagte er, „und alle haben recht. Iskender war kein Dieb. Und solange du nicht weißt, was ich dir lieber verschweigen wollte, kann ich begreifen, daß du sein Andenken verteidigst. Warum aber stellst du dich vor Chaireddin? Als er Fondi überfiel, wollte er dir übel.“
„Ich glaube, er wollte mir weder wohl noch übel. Er dachte überhaupt nicht an mich.“
„Und damit entschuldigst du ihn?“
„Ich müßte dich wenig lieben, wenn ich das täte.“
„Aber du trittst für ihn ein?“ wunderte er sich immer mehr.
„Du brauchst ihn, Soliman“, erklärte sie ihm. „Das Reich braucht ihn. Er hat Algier verloren, und das war eine Schlappe. Da er es jedoch mit seinen Mitteln eroberte, war es in Wirklichkeit auch sein eigenes Land. Jetzt wirst du es wieder gewinnen, und dann erst wird es dir richtig gehören. Zur See jedoch wurde Chaireddin niemals geschlagen, und du brauchst einen Admiral, einen Flottenschöpfer wie ihn.“
Bei jedem ihrer Worte hatte sich Solimans Leuchten vertieft. Jetzt zog er sie an seine Brust und küßte sie.
Er mußte an Ibrahim denken, der Barbarossas Untergang beschlossen hatte, und fühlte Roxelane, die den Rotbart beschützte, in seinen Armen.
Soliman war stolz auf seine Frau.
„Ja, Churrem“, sagte Soliman, „ich sehe, daß es falsch ist, dir etwas verheimlichen zu wollen. Du bist klug und treu und denkst, wie Herrscher denken sollen. - Nein, Iskender Tschelebi war kein Dieb, und für das, was er tat, hätte er immer eine Entschuldigung gehabt. Seit wann ist es verboten, dem Padischah eine schöne Sklavin zu schenken? Zu allen Zeiten galt das als eine Tat der Ehrerbietung und guter Untertanengesinnung. Über die Hälfte aller Mädchen und Damen des Harems sind Geschenke. Wie hätte ich plötzlich als todeswürdiges Vergehen ahnden können, was stets für lobenswert gegolten hatte? Und doch bin ich kein Tyrann, und es war todeswürdig, daß Iskender beabsichtigte, uns durch Giulia Gonzaga zu entzweien.“
„Iskender?“ fragte Roxelane.
„Denn das war seine Absicht“, überging Soliman den Einwurf. „Es durfte mich nicht beeinflussen, daß sein Anschlag nie geglückt wäre. Nie hätte eine andere Frau mich von dir zu trennen vermocht. Es mußte mir genügen, und es genügte mir, daß er von bösem Willen gegen dich erfüllt war und dir Kummer bereitet hatte. Und nun weißt du, warum ich Iskender Tschelebi strafte.“
„Iskender. ..?“ wiederholte Roxelane, als träume sie.
„Du hast richtig erkannt, daß Chaireddin in dieser Sache nicht mitzählt. Er war nur der Arm, Iskender war der Kopf. Als der Alte in Haleb war, hat ihn der Defterdar dazu beschwatzt, Fondi zu überfallen und die Gonzaga für mich zu erbeuten. Eigens zu diesem Zweck brach Iskender eine Dienstreise nach Meraasch ab. Ibrahim weiß es. Er sagte es mir.“
Ganz in sich zusammengekauert hockte Roxelane da. Die Beine hatte sie an sich herangezogen und hielt sie umarmt. Ihr Gesicht lag auf ihren Knien. In sich selbst verkroch sie sich vor dem, was nun kommen mußte.
Soliman hatte mit einer Selbstverständlichkeit gesprochen, die ihr die Schwierigkeit ihres Unterfangens erst klarmachte. Wohl mochte er im Fall Barbarossa auf Roxelanes Seite neigen und anderer Meinung als Ibrahim sein; aber daß ihm ein Leben ohne Ibrahim unmöglich schien - das erkannte Roxelane auch.
Niemals hatte sie gedacht, daß es leicht sein würde, Soliman die Wahrheit zu sagen. Erst jetzt sah sie, wie schwer ihn die
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