Roxelane
Frage und seine Pflicht vergessen hatte, und jetzt stand er vor dem Ergebnis dieser Vergeßlichkeit, das nichts andres als der schmähliche Tod eines verdienten Mannes gewesen war.
Es ekelte Soliman, und aus diesem Ekel heraus begann er zu sprechen.
„Achtzehn Jahre habe ich an den Menschen Ibrahim geglaubt, und achtzehn Jahre war dieser Glaube zuerst mein Trost, dann meine Freude. Für alles muß bezahlt werden, auch für diese achtzehn Jahre, und das Furchtbare ist nur, daß ich, weil ich bezahlen muß, meine Pflicht nicht erfüllen kann. Ich kann Ibrahim nicht absetzen, ohne ihn zu töten. Ich kenne die Kraft seines Lachens und seiner halben Worte. Er ist gefährlicher als ein osmanischer Prinz. Und ich kann ihn nicht töten. Denn ich habe ihn mit einem Eid seines Lebens versichert. Glaube mir, Churrem, ich schwor es bei Allah! “
Roxelane nickte traurig.
Wohl hatte sie gehofft, daß Soliman ihr das Letzte ersparen würde, aber da er es nicht tat, erlosch sie. Nichts blieb in ihr als der Wille und das Bekenntnis zu dem, was geschehen mußte.
„Ich habe dich gefragt“, begann sie, „ob du dich nicht fürchtest, Ibrahim möge eines Tages Lust auf deinen Thron bekommen. Laß mich dich jetzt etwas ganz anderes fragen. Was tat Timur Lenk, als er Bajesid Jilderim bei Angora besiegt hatte? Du weißt es. Er ließ Bajesids Frau an der Tafel der Männer bedienen. Auch Soliman hat eine Frau und hat einen Freund.“
„Churrem!“ rief Soliman sie. „Werde nicht unmäßig in deiner Erbitterung.“
Roxelane schüttelte den Kopf.
„Auch ich muß dich mahnen, mein Soliman“, sagte sie, „daß du nicht voreilig urteilst und hörest, was ich dir zu berichten habe.“ Soliman blickte auf.
Er fühlte den Blitz und wußte nur noch nicht, wann er niederfahren würde.
„Ich höre“, sagte er.
„So frage ich dich weiter“, fuhr sie fort. „Ging es dem lahmen Timur um die Dienstleistung der Sultana? Abertausende von Sklavenhänden standen ihm zu Gebote. Darum ging es ihm nicht. Der Mongole wollte deinem Ahn Bajesid das Schwerste an Demütigung und Erniedrigung antun. Weil er fühlte, daß die verlorene Schlacht den Gegner noch nicht vernichtet habe, wollte er ihn auf diese Weise unter seine Füße treten. Deswegen gab er die Scham von Bajesids Gattin preis.“
„Was soll dies Gleichnis?“ trieb Soliman sie voran.
Doch Roxelane ließ sich nicht drängen. Keine Ausflucht wollte sie offenlassen. Die Entscheidung stand bevor, und es handelte sich um ihre Kinder und um Soliman selbst.
„Timur, der Sohn des Glücks, zeigte wenig Großmut gegen den im Purpur geborenen Herrscher. Der Sklave aber, zu reich beschenkt, kennt überhaupt keine Grenze seines Begehrens. Er dünkt sich erst Herr seines Herrn, wenn er alles besitzt, was der andere einst besaß. Und was der Sklave nicht besitzen kann, darf der andere wenigstens nicht behalten, nicht seine Würde und nicht seine Ehre. Nicht einmal der Tod des Gebieters kann den Sklaven so befriedigen wie dessen Schande.“ „Churrem!“
„Deine Schande, Soliman“, vollendete Roxelane.
Der Blitz hatte gezündet.
Auge in Auge standen sich der Mann und die Frau gegenüber, und Roxelane senkte den Blick nicht.
„In seinem Haus hat Ibrahim dir Schande angetan. Es ist ein Verbrechen, das ich dir nennen muß und nennen will. Du sollst wissen, daß Ibrahim nach der Scham deines Weibes griff. Wirst du ihn auch dafür ungestraft lassen?“
Und dann erzählte sie von Ninos Hochzeitsfeier in Esmas Bad, von der verriegelten Tür und dem verschwundenen Kreuz.
„Und das Kreuz?“
Soliman stellte die Frage, trotzdem er die Antwort kannte.
„Das Kreuz hat Ibrahim“, sagte Roxelane fest. „Und glaube nicht, daß er seine Lust suchte, als er mich nackt sah - er suchte nur deine Schmach.“
Ein Schweigen folgte, das angefüllt mit Entsetzen war. Denn Soliman zweifelte nicht daran, daß Roxelane die Wahrheit sprach. Und er zweifelte nicht mehr an Ibrahims Schuld.
Sie aber war wie der Arzt mit dem Messer in der Hand. Die Mitleidige war ohne Mitleid.
Sie war wie aus Stein.
„Prüfe meine Worte“, sagte sie. „Sieh nach, ob er das Kreuz hat.“ -Damit ging sie aus dem Zimmer.
Das erste Grau des kommenden Morgens machte die Kerzen fahl. Soliman folgte ihr nicht.
37
Am folgenden Tag hielt der Kaiser sich seiner Gattin fern, wenn er ihr auch, um nicht den Anschein einer Unstimmigkeit zu erwecken, statt einer nachgeordneten Persönlichkeit sogar den Kapu Aga sandte, um sein
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