Roxelane
Wahrheit treffen, wieviel sie ihm nehmen würde. Und sie erschauerte.
„Du bist erschüttert“, sagte Soliman und streichelte mit einer rührenden Zartheit ihre Haare.
Sie aber mußte daran denken, wie sie ihm seine Liebe damit vergelten wolle, daß sie sein Leben ärmer machte.
Aber auch daran dachte sie, daß ein Unschuldiger hatte sterben müssen!
Sie erhaschte seine Hand und schmiegte ihre Wange hinein, und die Hand wurde ihm feucht.
„Ja, ich bin erschüttert“, sagte sie. „Über deine Liebe zu mir bin ich erschüttert - darüber, daß du es als einen Mord betrachtest, wenn man nur versucht, uns zu trennen. Dafür danke ich dir. Und es ist auch ein Mord. Aber... ist Iskender der Mörder?“
Wie zu einem Kind sprach sie zu dem Mann, der groß und mächtig neben ihr stand, der nicht nur nach seinem Titel der Herr zweier Weltteile war, sondern der auch den Geist besaß, die Länder, die ihm Allah gegeben hatte, in Wahrheit zu beherrschen.
In diesem Augenblick war der Kaiser dennoch ihr Kind.
„Überlege, Soliman“, bat sie ihn. „So wenig wie Iskender ein Dieb war, konnte er der Mörder unserer Liebe sein.“
„Das wäre schrecklich!“ stieß er aus.
Seine Träume erhoben sich wider ihn.
„Du mußt dich irren“, sagte er dann. „Ibrahim hat es mir versichert. Glaubst du, er würde eines Unschuldigen Tod auf sein Gewissen laden?“
Doch Roxelane war entschlossen zu sagen, was gesagt werden mußte. „Das hat er in jedem Fall getan“, antwortete sie. „Worin hatten sich die dreißig Schatzbeamten vergangen, die er foltern und töten ließ? Wenn Iskender kein Dieb war, wie du selbst sagst, so waren sie auch keine Diebe. Und mit Chaireddin hatten sie bestimmt nichts zu schaffen! Nein, Soliman, der Tod dieser Dreißig war kein menschliches Irren - er war bewußter Mord, um Iskender zu treffen. Einen lästigen Wächter wollte Ibrahim in ihm beseitigen, einen Mann, der ihm das Recht auf deinen Sultanstitel bestritten hatte.“
Soliman schwieg.
Es berührte ihn tief, daß die geliebte Frau aussprach, was seine Nächte erfüllte.
„Iskender war unschuldig. Er war weder ein Dieb noch ein Verräter.
Ich irre mich nicht“, fuhr Roxelane fort. „Daß er seine Reise nach Meraasch abbrach, war wohl selbstverständlich. Nicht um mit Chaireddin zusammenzutreffen, tat er das, sondern um sich vor seine Leute zu stellen und sich und sie gegen die heimtückische Anklage des Diebstahls zu verteidigen. Was hätte Iskender auch veranlassen sollen, mich von dir trennen zu wollen? Er war mit meiner vertrauten Dienerin vermählt. Wenigstens schmeicheln durfte er sich, daß Ich ihm und seinen Wünschen wohlwollend gegenüberstände. Das war für ihn eine Gewißheit. Die Gonzaga dagegen kannte er gar nicht. Von ihr durfte er sich nichts versprechen. Und Iskender war kein Jüngling, kein Spieler, kein Schwärmer, sondern ein gesetzter, nüchterner Mann, der dir oft genug Proben seines klaren Verstandes gegeben hatte.“
„Es ist genug.“
Soliman wollte Roxelanes Worte abschütteln; aber sie saßen schon in ihm.
„Alles, was du sagst“, sprach er gemäßigter weiter, „ist nichts als Vermutung. Ibrahim aber weiß und hat sein Wissen beschworen. Sieh es doch ein, Churrem: Ich habe doch keinen Grund, ihm nicht zu glauben! “
„Du hast viele Gründe, ihm nicht zu glauben!“ erwiderte sie. „Oder sind die dreißig Unschuldigen kein Grund? Und der dünkelhafte Übermut, mit dem er über dich zu fremden Gesandten spricht, auch nicht? Ich weiß, du hast das oft als kleine Schwäche belächelt. Ich aber sage dir, es ist mehr. Er ist nicht mehr zu sättigen, sage ich dir! Sein Gehalt beträgt eine Million jährlich, und deine Geschenke belaufen sich auf das Vielfache davon. Einen Tugh mit sechs Roßschweifen hast du ihm bewilligt, er trägt deine Kleider und teilt dein Lager. Dein Reich hast du ihm anvertraut und hast ihm so viel gegeben, daß du ihm nichts mehr zu geben hast. Und jetzt beginnt er zu nehmen, was du ihm nicht geben kannst. Ich rede nicht von dem Vertrauen deines Heeres und deines Volkes, nicht von deiner Flotte, die dir verloren ist, wenn du deinem Wesir nicht Einhalt gebietest. Aber er nahm bereits deinen Titel an. Fürchtest du nicht, daß ihn eines Tages die Lust nach deinem Thron überkommen könnte?“
„Er ist mein Freund!“ rief Soliman.
Es klang wie ein Schrei nach Hilfe.
„Nach dem Kanun ist er dein Schatten“, sagte Roxelane.
„Ich glaube, du verstehst uns nicht“,
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