Roxelane
gegen Persien hoffen durfte.
Die Truppen waren auch schon in Bajesids Provinz Karaman, und zwar zu Askerai, versammelt, und alle Welt erwartete die ersten Siegesmeldungen mit dem anbrechenden Frühling, als der Großwesir plötzlich nach Konstantinopel zurückgerufen und der Angriff verschoben wurde.
Soliman hatte sich entgegen seiner ursprünglichen Absicht entschlossen, sein Heer persönlich ins Feld zu führen.
Kaum weniger Aufsehen als dieser Beschluß erregte ein Ferman, der die Janitscharen aus Askerai nach Konstantinopel befahl.
Dieser Marsch von zwanzigtausend Mann der besten Truppen aus dem Hauptquartier an den Bosporus, nur um dann mit dem Kaiser dieselbe Strecke umgekehrt noch einmal zurückzulegen, schien eine Willkür zu sein, die man Soliman nicht zugetraut hatte. Und da man in der Hauptstadt nicht gewohnt war, sich mit den Tatsachen zu begnügen, so waren die Basare Konstantinopels und bald auch des ganzen Reiches von Gerüchten erfüllt, die alle für das Erstaunliche noch erstaunlichere Erklärungen versuchten.
Um dem Neuen Serail jedoch lagerte eine drohende Wolke des Schweigens, die sich auch nicht verzog, als Soliman im Hochsommer wirklich ins Feld rückte.
Rustem begleitete ihn, und Selim sollte sich ihm in Kleinasien anschließen. Der junge Bajesid aber erhielt den Befehl, Soliman in Europa zu vertreten, was für den jüngsten Sohn mehr eine Auszeichnung als eine Machtübertragung war, da Roxelane in Konstantinopel blieb und der Sohn bei allen Entscheidungen an die Mutter verwiesen wurde.
Doch auch Dschihangir konnte dieses Mal den Feldzug ebensowenig wie Bajesid mitmachen. Alle Vorbereitungen zu seiner Abreise waren bereits getroffen, als ihn, wie es hieß, unvermutet eine Krankheit zurückhielt.
Jedermann sprach auf diese Weise von den Söhnen der Kaiserin. Nur von Mustafa war bei alledem nicht die Rede. Außer in den Weinschenken der Janitscharen war sein Name in letzter Zeit überhaupt wenig genannt worden.
Stromaufwärts vom Goldenen Horn, wo das brakige Hafenwasser aufhörte, begannen die vielbesungenen Süßen Wasser von Konstantinopel.
Zuweilen jagte der Kaiser in den Wäldern, die sich am Flußoberlauf hinzogen. Ein kleines Jagdschloß diente ihm bei dieser Gelegenheit als Unterkunft, und einige wenige reiche Leute hatten an den anmutigen Ufern des durch Waldinseln unterbrochenen Flußlaufs ebenfalls Landhäuser errichtet.
Mondklar war die Nacht zum fünften September, als eine dunkle Barke am Landungssteg eines dieser Häuser festmachte. Es war zu sehen, daß keine Waren mit dem Fahrzeug aus Konstantinopel kamen. Die schnittige Form und der reichgeschnitzte Kajütenaufbau in der Mitte ließen das Boot sofort als das Lustfahrzeug eines begüterten Privatmannes erkennen.
Das Landhaus selbst war dagegen nicht zu erblicken.
Unmittelbar am Steg erhob sich eine haushohe Mauer, deren Weiß das Mondlicht grell zurückwarf. Da das Ufer eine Kurve beschrieb, schien die steinerne Abwehr nach beiden Seiten kein Ende zu nehmen, und nur die Wipfel einiger Zypressen deuteten an, daß die Wand einen Park umschloß und in dessen Verstecken das Haus.
Was für ein Wohnsitz das aber auch sein mochte - die Mauer war seine Vornehmheit und machte das Haus zum Palast.
Oder auch zum Gefängnis.
Denn unbezwinglich erschien sie. Nur eine kleine weißgetünchte Tür unterbrach sie am Steg. Man mußte die Tür kennen, um sie zu finden. Der Barke aber entstieg eine schwarze Gestalt. Unter der weiten
Kapuze konnte sich sehr wohl ein Dülbend und selbst ein Turban verbergen, und man sah keine Füße. Wenige Personen folgten ihr, verhüllt wie sie, und aus der Pforte kamen andere ihr entgegen, deren Verneigung sie mit herrischer Gebärde abschnitt. Die Wachhabenden Bostandschi im Innern des Parks konnten schon nicht mehr wissen, wer von den Verhüllten der Erwartete sei und was er sei: ein Ulema, ein Palasteunuch oder ein Wesir?
„Wo ist der Hakim?“
Der Arzt beeilte sich.
„Seine kaiserliche Hoheit haben seit vier Tagen keine Nahrung zu sich genommen.“
„Auch nicht getrunken?“
„Nur Wasser.“
„Der Puls?“
„Schwach.“
Die Gestalt wandte sich zu den Rückstehenden.
„Ein Kohlenbecken, Geschirr, Tassen und Teller!“
Dann wieder zum Hakim.
„Wo befindet sich Seine Hoheit?“
„In der Bibliothek.“
„Danke. Gehen Sie mir voran.“
In einer bunten Wolke schwebte der nächtliche Schatten davon. Dschihangir war verzweifelt.
Es war keine Verzweiflung, die zur Ausgabe
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