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Roxelane

Titel: Roxelane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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letzter Kraft aufpeitschte, sondern eine Verzweiflung, die ihn wie ein Ungeheuer umwand und erstickte.
    Unmittelbar vor des Vaters Abreise ins Feld hatte er den Befehl erhalten, zurückzubleiben, und jetzt war er seit vier Tagen gefangen. Kaum, daß er sich nach dem Grund fragte; denn den kannte er ohnehin. Kaum, daß er sich überlegte, ob seine Botschaft an Mustafa aufgefangen sei; denn das nahm er fast als gewiß an. Dschihangir ließ sich fallen, und mit jedem Tag, mit jeder Stunde fühlte er sich dem Ende näher, das er ersehnte. Ein Eunuch, den er nicht hatte kommen hören, verbeugte sich vor ihm.
    „Kaiserliche Hoheit erhalten Besuch."
    Dschihangir erhob sich matt.
    War es das Urteil? Waren es bereits die Vollstrecker? Dschihangir galt es gleich.
    Der Eunuch verschwand, und der eingetretene Schatten warf Kapuze und Feredescha ab.
    Roxelane lächelte ihrem Sohn entgegen.
    „Mutter?! ... Sie?!“
    „Ja, Dschinga, ich“, sagte Roxelane ohne die geringste Anspielung auf die Lage, in der sich der Sohn befand. „Ich hörte, daß dir nicht gut sei, und da bin ich.“
    Inzwischen wurde auch schon auf einem großen Tablett ein Becken mit glühenden Holzkohlen und alles zur Kaffeebereitung hingestellt. Teller schichteten sich neben verdeckten Platten auf, und in einer Schale duftete Sorbet.
    Dschihangir machte eine Gebärde des Ekels. Aber im Angesicht der Mutter fiel sie nicht so eisern aus, wie sie bis jetzt in den vier Tagen immer gewesen war.
    Auch schien Roxelane die Abwehr überhaupt nicht zu bemerken. „Komm! Leg dich wieder hin“, sagte sie, und dabei deckte sie ihn auch schon zu, wie sie es so oft getan hatte, als er noch ein Kind gewesen war. „Warte einen Augenblick.“
    Aus halbgeschlossenen Lidern blinzelte er ihr nach. Er war mit der Mutter allein.
    Nur eine Bronzeampel säte über den Boden leichte, zitternde Kringel. Hier und da brachten sie eine oder die andere der tiefen Farben in den Teppichen zum Glimmen. Sonst war der Raum nicht erhellt, und so wurde die Glut im Kohlenbecken zu einer Quelle des Lichts. Rot angehaucht bewegte sich die Mutter vor diesem Licht.
    Bis seine Halsmuskeln zu schmerzen begannen, mußte Dschihangir, um alle ihre Bewegungen verfolgen zu können, den Kopf nach ihr wenden. Aber es wäre ihm noch schwerer gefallen, ihr nicht zuzusehen.
    Aus einer gläsernen Dose gab sie Kaffeestaub in ein offenes Kupferkännchen, das statt des Henkels einen Stiel hatte, gab Honig dazu und heißes Wasser aus dem Kessel. Mit einem kleinen Blasebalg schürte sie die Glut, stellte das Kännchen hinein, ließ den Kaffee aufwallen, was sie zweimal unterbrach . . .
    Beruhigung kam über Dschihangir, wie er die Mutter so sah.
    Er war wieder wie ein kleines Kind, er war krank, niemand durfte ihn schelten, nur die Mutter war bei ihm und sorgte sich um ihn. Schöner noch wäre es gewesen, wenn sie bei ihm gesessen und seine Hand gehalten hätte.
    Doch auch diese Sehnsucht sollte sich ihm erfüllen.
    „Du fühlst dich matt, mein Junge? Das werden wir gleich haben“, sagte Roxelane.
    Mit einigen Tropfen kalten Wassers schreckte sie den brausenden Kaffee und goß ihn dick, wie er war, in eine chinesische Tasse.
    Wie hätte er sich weigern können? Die Mutter hatte den Kaffee bereitet, und nun reichte sie ihn.
    „Ich wäre schon früher gekommen, aber ich war auf der anderen Seite“, sagte sie dabei.
    ,Auf der anderen Seite' konnte Skutari, es konnte auch die Etappenstraße oder auch die Straße nach Brussa und . . . Amasia bedeuten. Und in Amasia residierte Mustafa. Doch wenn sich Dschihangir eigentlich auch hätte sagen müssen, daß der Mutter Abwesenheit von Konstantinopel mit ihm selbst zusammengehangen habe, so kümmerte ihn das jetzt nicht. Denn die Mutter saß bei ihm.
    „Trink“, ermunterte sie ihn und hielt ihm die Tasse an die Lippen. Er trank. Und das wiederholte sich so oft, und sie gab ihm dabei auch zu essen, bis sie merkte, daß sein Puls wieder stärker schlug. -Plötzlich richtete er sich auf.
    „Was weißt du?“ fragte er geradezu.
    Sie streichelte ihn.
    „Deine Tante Esma“, meinte sie, „hat dir allerlei in den Kopf gesetzt? Oder war es . . . Saffieje Sultana?“
    „Sie sprachen die Wahrheit“, sagte er.
    „Welche Wahrheit?“
    „Man hat dem Vater versichert, die Janitscharen haben sich für Mustafa erklärt.“ „Nur für Mustafa erklärt?“ vergewisserte sich Roxelane. „Gegen wen denn erklärt? Gegen dich? Gegen Selim? Oder... gegen den Vater?“
    „Nein!“

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